Was bewirken eigentlich die großen Klimakonferenzen? Die Wissenschaftlerin Judith Neumann ist dieser Frage nachgegangen und hat ihre Forschung über die COP26 in eine Masterarbeit gegossen, die der oekom-Verlag 2023 herausgebracht hat. Lilly von der Klimabuchmesse hat das Buch gelesen und für Euch rezensiert. Dieses Buch ist Teil des Programms der Klimabuchmesse 2024 und wird am 21.03.24 um 12:45 Uhr in Halle 5 vorgestellt.

Die Soziologin Judith Neumann arbeitet als Expertin für Klimawandelforschung im Umweltbundesamt Wien und ist Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung Berlin. Zur 26. UN-Klimakonferenz (COP 26) war sie 2021 in Glasgow, um für ihre Masterarbeit „die zivilgesellschaftlichen Perspektiven der Klimabewegung in Bezug auf globale Verantwortung und Klimagerechtigkeit in den Fokus zu stellen.“

Wer hat was gegen Klimagerechtigkeit?

Mit dieser Frage machte sie sich auf die Suche nach den Barrieren, die Klimagerechtigkeit verhindern. Als Ursache der Klimakrise benennt sie die globalen Ungleichheiten und die kapitalistischen Strukturen, durch die weltweit auch eine „massive Gerechtigkeitskrise“ herrscht. Historisch betrachtet sind die Hauptverursacher der Klimakatastrophe die Länder des globalen Nordens. Die des globalen Südens werden, auch in Zukunft, am meisten von den Auswirkungen betroffen sein. Dennoch haben die Menschen in diesen Ländern geringere Möglichkeiten, über die globale Entwicklung mitzuentscheiden, so Neumann. Sie beschreibt, wie sie dies selbst bei der COP26 erlebt hat.

Somit sind die maßgebenden Mächte benannt, die sich gegen Klimagerechtigkeit sperren: die alten und neuen Profiteure der Ausbeutung von Menschen und Natur.

Wer kann für Klimagerechtigkeit einstehen?

Die Umsetzungsvorrechte klimapolitischer Maßnahmen liegen bei den Nationalstaaten, erklärt Neumann. Zivilgesellschaftliche Akteure der globalen Klimabewegung können die jährlichen UN-Klimakonferenzen dafür nutzen, die Politiker*innen auf die unzureichende Krisenbearbeitung aufmerksam zu machen. Neumann betont, dass Nichtregierungsorganisationen und aktivistische Gruppierungen eine bedeutende Rolle für das Verständnis und das öffentliche Bewusstsein der Klimakrise spielen. Hier sehen wir, wie wichtig die Klimabuchmesse ist!

Hauptziele zur Annäherung an Klimagerechtigkeit

„Wie lassen sich die Zielsetzungen, die im Rahmen der COP26 vereinbart wurden, hinsichtlich Klimagerechtigkeit einstufen?“

fragt sich Neumann und diskutiert dies mit ihren Interviewpartner*innen. Das sind Quan Nguyen von der COP26 Coalition, Line Niedeggen von Fridays For Future, Jakapita Kandanga von Fridays For Future Most Affected People and Areas und Tonny Noswhin von People’s Summit der COP26 Coalition.

Das Ergebnis der Verhandlungen bei der COP 26 beschreibt Neumann in Bezug auf die vier Hauptziele: (1) Mitigation (Abmilderung/Vermeidung) und (2) Adaption (Anpassung), zu der auch der Bereich „Loss and Damage“ (Verluste und Schäden) gehört, der sich auf Extremwetterereignisse bezieht. (3) Finance (Finanzierung), in dem hauptsächlich marktbasierte Klimaschutzlösungen diskutiert werden und (4) Collaboration (Zusammenarbeit), bei dem es um die Zusammenarbeit der UN-Mitgliedsstaaten geht.

Nach Einschätzung von Neumann ist für das Ergebnis der COP26 festzuhalten, „dass die Maßnahmen der Vertragsstaaten nach wie vor unzureichend ausfallen.“

Hauptbarrieren gegen Klimagerechtigkeit

Neumann beschreibt, dass die politischen Umsetzungen von Klimagerechtigkeitsforderungen in diskursiven, institutionellen und finanziellen Ebenen gehemmt werden. Anhand ihrer Interviews arbeitete sie dazu vier Hauptbarrieren heraus: exkludierende Rahmenbedingungen, nicht eingehaltene Finanzierungsversprechen, der weitergeführte ausbeuterische Wachstumsimperativ und eine Reduzierung der Klimakrise auf ein ökologisches Problem.

Ihre Interviewpartner*innen berichteten ihr von vielfachen Barriereerfahrungen: Fehlende Partizipationsmöglichkeiten, die sie als koloniale Kontinuität und fehlendes historisches Verantwortungsbewusstsein analysierten; Exklusionsaspekte, wie Intransparenz innerhalb der Verhandlungen; strukturelle Machtverhältnisse und unzureichenden Finanzierungsmaßnahmen mit fehlenden Mechanismen zu Sanktionen im Bereich „Verluste und Schäden“ (loss and damage).

Die größte Barriere bleibt jedoch weiterhin der Wachstumsimperativ. Neumann bemerkt, dass die Lobbyist*innen der finanzstarken und wachstumsorientierten fossilen Energieunternehmen die größte Delegation auf der COP26 stellten.

Degrowth-Ansätze statt Green Economy

„Die Forderung nach Klimagerechtigkeit setzt an der Kritik an der auf Wirtschaftswachstum basierenden, dominierenden Krisenbearbeitungsstrategie ‚Green Economy‘ an.“

Green Economy basiert auf der Vorstellung, die kapitalistische Ausbeutung könnte einfach so weitermachen, nur halt etwas „grüner“. Dass dies nicht möglich ist, hat Ulrike Herrmann bereits in ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden“ gut und knapp beschrieben. Hier gibt es weitere Eindrücke zu der dazugehörigen Rezension.

Für Judith Neumann gehören zur Klimagerechtigkeit die Forderungen nach einer sozialen und ökologischen Transformation. Dazu verweist sie auf die emanzipatorisch-progressiven Degrowth-Ansätze, denn deren Vertreter*innen lehnen die Lösungsvorschläge der Green Economy ab und fordern einen Systemwandel zur Herstellung von Gerechtigkeit.

Mir gefällt Judith Neumanns knappe Zusammenstellung, auch wenn sie im „universitären“ Stil geschrieben ist. Sie versammelt darin alle wichtigen Aspekte: Die Barrieren sind erkannt und mit dem entsprechenden politischen Willen ist Klimagerechtigkeit möglich. Neumann zeigt aber auch, dass es nicht einfach wird, dort hinzukommen. Nur gemeinsam und solidarisch werden wir es schaffen, gegen die Macht des Kapitals die weltweite Klimagerechtigkeit einzufordern und umzusetzen.

„Wo bleibt die Klimagerechtigkeit? Barrieren und Potenziale aus Perspektive der globalen Klimabewegung am Beispiel der COP26“ von Judith Neumann ist 2023 beim Oekom-Verlag erschienen. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.

Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.