Angesichts der drohenden Klimakatastrophe können wir nicht politisch neutral sein. Denn in jedem Fall hat nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Nichtstun Folgen: Wer heute nicht aufsteht für einen Wandel unserer Art zu wirtschaften, stützt das „Weiter so“ und damit die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Doch von diesen hängt alles ab, was für uns gutes Leben ausmacht: Auch die Demokratie.

Plädoyer für friedlichen demokratischen Protest

Friedemann Karig hat mit „Was ihr wollt: Wie Protest wirklich wirkt“ ein Plädoyer für friedlichen demokratischen politischen Aktivismus verfasst. Dieses widmet sich der Frage, wie eigentlich Proteste wirklich wirken, sowohl in autoritären Systemen, als auch in Demokratien. Die Redakteurin und Rechtsanwältin Luisa Milazzo hat es für die Klimabuchmesse gelesen und stellt es vor.

Protest braucht gute Erzählungen

Das Buch fasst Erkenntnisse der Protestforschung zusammen: Proteste wirken in autoritären Systemen und in Demokratien ähnlich, nämlich insbesondere über wirkmächtige Erzählungen von Gut gegen Böse, wie in Hollywood oder im Theater. Wenn immer mehr Menschen in systemrelevanten Berufen durch diese Narrative überzeugt werden, entsteht Veränderung. Viele tragende Säulen stützen eine Gesellschaft, z.B. die Landwirtschaft, die Schulen und Hochschulen, die Behörden, die Polizei und die Familien. Wenn mehrere tragende Säulen aufhören, den Status Quo aufrecht zu erhalten, stürzt er ein. Diktaturen fallen und Demokratien entwickeln sich positiv weiter – oder sie sterben durch eine „Revolution von Rechts“.

Beim Kampf um Aufmerksamkeit geht es demnach nicht darum, möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Es geht auch nicht darum, ob die Protestierenden sich beliebt oder unbeliebt machen, sondern es geht darum, ob sie eine gute Geschichte erzählen, in der die Mehrheit ihrem Anliegen den Sieg wünscht. Karig drückt es so aus:

„Nur, wenn der Protest die Ungerechtigkeit, die er beklagen will, in ein eindeutiges Narrativ übersetzt, kann er verfangen.“

Theorie und Praxis des zivilen Ungehorsams

Karig gibt einen Überblick über Theorie und Praxis des zivilen Ungehorsams. Uns begegnen unter anderem Mahatma Ghandi, Martin Luther King, die friedliche Revolution von 1989, die Maidan-Proteste in der Ukraine, Fridays for Future und die Letzte Generation. Der Autor hat mit Carla Hinrichs und Lea Bonasera von der Letzten Generation gesprochen. Das Vorgehen der „Klimakleber“ ist alles andere als unüberlegt. Es ist Ergebnis wissenschaftlicher Protestforschung: Bonasera promoviert zu zivilem Ungehorsam.

Ziviler Ungehorsam meint bewusste Regelverstöße. Wenn er gelingt, zwingt er die Gegenseite in eine Zwickmühle mit zwei schlechten Optionen: entweder den Protest gewähren lassen und damit die eigenen Regeln faktisch außer Kraft setzen, oder sich auf die Seite der Bösen in der Geschichte stellen, z.B. durch Polizeigewalt gegen friedlichen Protest. Der kalkulierte Regelverstoß kann legitim sein, wenn er friedlich ist und wenn die Mittel im Verhältnis zu den Zielen angemessen sind.

Warum wirkt friedlicher Protest besser als politische Gewalt?

Die Held*innen guter Geschichten sind oft Außenseiter*innen in feindlicher Umgebung. Sie begegnen allerlei Problemen auf ihrem Weg, ehe sie die Welt verändern. Erst kommen das frustrierende Scheitern und die mutigen Opfer, später erst kommt der Sieg. Wer Gewalt ausübt, stellt sich auf die Seite des Bösen, egal ob es die rassistische Polizeigewalt ist, an der George Floyd starb oder die Kreuzigung Jesu Christi. Die Mehrheit fiebert mit den Held*innen, wünscht ihrer Seite das Happy End und führt es deshalb irgendwann herbei.

Gewalttätiger Protest jedoch kann die Seiten umkehren: Nicht mehr heldenhafter Protest streitet gegen das Böse, sondern die Guten bekämpfen den bösen Terror und retten den Status Quo. Politische Gewalt als Mittel des Protests gibt der Gegenseite einen einfachen Ausweg aus ihrer Zwickmühle: Sie können die Guten sein und ihre Gewalt wird zur Notwehr.

 Protest ist ausdauernde planvolle Arbeit vieler Menschen

„Erfolgreicher Protest lebt nicht von Heldenmut oder Exzellenz, sondern von Verbindlichkeit und Gemeinsinn, Kommunikation und Koordination, kurz: von einer Gruppe, die zusammenhält – und einen Plan hat.“

So erklärt Karig, dass Protest keine Sache ist, die wir besonderen Menschen überlassen sollten. Nein, wir sind alle gefragt. Ja, Protest braucht Ikonen für seine Erzählungen, aber solche prominenten Personen können ihr auch schaden. Karig zeigt es am Beispiel von Greta Thunberg: Gestern noch war sie das mutige Mädchen, das viele motiviert hat, heute leidet die Klimagerechtigkeitsbewegung unter ihrem antisemitischen Auftreten als Erwachsene.

Antidemokratischer Protest

Das Buch erklärt auch, wie antidemokratische Bewegungen wie z.B. Pegida, Querdenken dieselben erzählerischen Strukturen nutzen: Die vermeintlichen Opfer kämpfen für das angeblich Gute gegen das vermeintlich elitäre Böse. So arbeitet jede Verschwörungserzählung. Die Methoden zivilen Ungehorsams können alle anwenden. Nur stellt sich die Frage: Wann ist das legitim?

Karig misst mit dem Maß derer, die sich theoretisch damit beschäftigt haben:

„Wer wie die „Querdenker“ oder „Pegida“ entweder das System abschaffen will, oder per Programm gegen dessen Grundregeln verstößt, indem er beispielsweise rassistische oder antisemitische Ansichten vertritt, sprengt das enge Korsett, das Jürgen Habermas und andere dem widerständigen Protest zu Recht anlegen.“

Lohnt sich Protest?

Viele von uns fragen sich wieder und wieder: Warum wählen so viele Menschen die AFD? Warum tut die Regierung nicht annähernd genug, um uns alle vor der Klimakatastrophe zu bewahren? Verfangen populistische Erzählungen immer besser, weil sie so einfach sind? Taugen rassistisch definierte Menschengruppen und einzelne Personen aus Politik, Wissenschaft und Medien einfach besser als Feindbild im Sinne einer Erzählung die viele überzeugen kann? Lohnt es sich aufzustehen, oder können wir unsere Lebensgrundlagen und unsere Demokratie ohnehin nicht mehr retten?

Friedemann Karigs Antwort:

„Ich glaube, man lebt besser, wenn man es wenigstens probiert.“

Das hochaktuelle im März 2024 bei Ullstein erschiene Buch sei allen empfohlen, die aus der Geschichte des Protests lernen wollen, die Proteste von heute gewinnen zu können. Zwar enthält es keine Rezepte für garantiert erfolgreichen Protest, aber garantiert einige gute Argumente gegen all die Ausreden in unsren Köpfen, die uns vielleicht noch bremsen.

„Was ihr wollt: Wie Protest wirklich wirkt“ von Friedemann Karig ist 2024 beim Ullstein-Verlag erschienen. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.

Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.