Die Insekten summen heute viel seltener als früher. Mit „Vom Verschwinden“ der Arten“ zeigen Katrin Böhning-Gaese und Friederike Bauer auf, wie drastisch die Biodiversitätskrise unser Überleben bedroht. Die Biologin und Professorin Böhning-Gaese leitet das Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und erzählt im Interview, warum wir Klimakrise und Biodiversitätskrise gemeinsam denken müssen.

Porträtbild von Prof. Kathrin Böhning-Gaese

Bild: Laura Cwiertnia

Warum kommen Sie zur Klimabuchmesse?

Ich freue mich riesig auf die Klimabuchmesse. Wir brauchen solche Räume für spannende und kritische Diskussionen. Physisch und gesellschaftlich, denn wir müssen mehr über die Zwillingskrisen Klimawandel und Artensterben diskutieren. Der Klimawandel beeinflusst, WIE wir in Zukunft als Menschheit auf der Erde leben, der Artenschwund, OB wir überleben. Zwischen einer Politik, die derzeit nichts macht, und Menschen, die sich aus Verzweiflung auf die Straße kleben, müssen wir die Frage stellen: Wie kommen wir ins Handeln?

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Wissenschaftlerin und Autorin in diesen beiden Krisen?

Es gibt den Begriff „Honest Brokerin“, der passt sehr gut. Ich bin eine ehrliche Vermittlerin zwischen der Welt der Wissenschaft und Gesellschaft. Als „Honest Broker“ schlagen wir Handlungsoptionen vor, die dann gesellschaftlich diskutiert werden. Es braucht immer mehrere Stellschrauben. Wenn wir die Biodiversität retten wollen, brauchen wir mehr Schutzgebiete. Aber das reicht allein längst nicht aus, wir brauchen eine Ernährungswende und vieles mehr. Gleichzeitig sehe ich mich auch als Mahnerin und weise auf dramatische Entwicklungen hin. Diese riesigen Probleme müssen jetzt gelöst werden.

Aber es passiert nicht genug?

Aktuell machen wir eher einen Schritt zurück. Mit dem 1,5-Grad-Pfad konnten wir als Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Diskurse eine globale Einigung erzielen. Unverständlicherweise stehen die dafür notwendigen Maßnahmen ständig zur Disposition. Die Aufgabe der Sektorenziele, die nun den Verkehr nicht mehr in die Pflicht nehmen, ist ein vollständiger Rückschlag.

Kann da ein Buch die Welt verändern?

Das Buch von Friederike Bauer und mir setzt bei der Biodiversität an: Bislang gibt es leider im Diskurs oft noch einen einseitigen Fokus auf der Klimakrise, es geht es oft um technische Lösungen. Was bei der breiten Masse noch nicht angekommen ist: Die natürlichen Ressourcen kommen ans Ende. Auch, wenn die Menschen mittlerweile das Wort „Biodiversität“ richtig aussprechen können, ist ihnen die Brisanz noch nicht bewusst. Sie wollen die Natur schützen, wissen aber nicht, wie sie das richtig machen. „Vom Verschwinden der Arten“ zeigt da konkrete Handlungsoptionen auf. So gibt es durchaus Ernährungsmodelle, wie wir auch zehn Milliarden Menschen auf der Erde gut ernähren können.

Wie sieht das konkret aus?

Wie gesagt, es gibt viele Stellschrauben. Wir brauchen zum Beispiel eine andere Art Landwirtschaft und ein anderes Ernährungssystem. Das kommt auch jetzt schon bei den Menschen an, denn der Fleischkonsum geht in Deutschland kontinuierlich zurück. Generell müssten wir zurück zum Sonntagsbraten. Das ist darüber hinaus für die einzelnen Menschen viel gesünder.

Populistisch kommt dann wohl oft der Vorwurf von Verboten?

Es gibt einige Menschen, die es hassen, wenn man ihnen was vorschreibt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele das sind. Sie kommen mir oft wie eine laute Minderheit vor. Die Wirtschaft ist da analytischer und rationaler. Da beschließt eine Supermarktkette, in Zukunft weniger Fleisch und mehr pflanzliche Produkte anzubieten. Oder ein Baumarkt fordert auf: Lass doch mal die Natur Natur sein. Einige Firmen folgen auch dem Entrepreneur-Ansatz und gehen ins Risiko. Es gibt dafür einen guten Satz: Für Politik sind Gefühle Fakten. Und von lauten Minderheiten getrieben werden diese Gefühle besonders schnell Fakten.

Wie sieht das bei der Landwirtschaft aus?

Die Landwirtschaft ist sehr heterogen. Viele sehen den Handlungsbedarf für mehr Biodiversität und würden sehr gerne mehr machen. Das Problem sind die Anreizsysteme, die sich zu wenig am Gemeinwohl und Umweltkriterien orientieren. Bislang haben sich da immer bestimmte Lobbys durchgesetzt. Die Machtverhältnisse und Einflussstrukturen lassen uns am alten System verharren.

Wie lösen wir das?

Die Hälfte unseres Buches sind Handlungsoptionen: Was wären die richtigen Handlungswege unter Berücksichtigung der ganzen Komplexität? Wir müssen gleichzeitig mehrere Stellschrauben drehen. Während bei uns der Fleischkonsum runter muss, muss in vielen anderen Ländern der Konsum von hochwertigen Proteinen hoch, weil dort Mangelernährung ein massives Problem ist. Auch für diese Menschen wäre der Sonntagsbraten die Lösung.

Katrin Böhning-Gaese und Friederike Bauer sind zur Eröffnung der Klimabuchmesse zu Gast – gemeinsam mit Klimabuchmesse-Schirmherr Eckart von Hirschhausen und Maja Lunde. Hier zur Veranstaltung Träume von Bäumen, Artenvielfalt und gesunder Erde.