Jasmin Schreibers „Endling“ spielt in einer nahen Zukunft in nur 20 Jahren. Sie entwirft eine Welt, wie sie aussehen könnte, wenn wir es jetzt nicht schaffen, das Ruder rumzureißen und gegen Rechts und die weitere Zerstörung unseres Planeten aufzustehen.
In diesem Zukunftsentwurf war die Coronapandemie nur der Anfang einer Welle von verschiedenen, zunehmend auch gefährlicheren Pandemien. Reisen wird immer schwieriger. Die Klimakrise hat sich ungebremst verschärft, das Artensterben ebenfalls und seit dem großen Baumsterben sieht es auch um die Wälder sehr traurig aus. Im Zuge dieser Veränderungen hat sich auch das gesellschaftliche Klima verändert. In Deutschland ist eine rechte Regierung an der Macht. Frauen und ihre Rechte werden immer weiter zurückgedrängt. Abtreibungen und Verhütung werden illegal und wenn Stellen gekürzt werden, wird zuerst Frauen oder anderen Geringergestellten gekündigt. Auch ansonsten herrscht zunehmend ein Klima der Angst und des Misstrauens.
Die Liebe zu den Insekten teilen sich Autorin und Protagonistin
„Ich beobachtete, wie die Schnecken langsam ihre Fühler aus dem Häuschen schoben. Sofort ging mir das Herz auf. Nichts rührte mich mehr als eine Schnecke, die irgendwo anstößt, sich versteckt und dann schüchtern ein Auge aus dem Häuschen steckt, um erst einmal zu schauen.“
Die Protagonistin Zoe ist Entomologin, das erste schlaue Wort von vielen, das ich in diesem Buch gelernt habe. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, wenigstens einige der so vielen noch undokumentierten Insekten zu beschreiben, bevor sie aussterben. Außerdem forscht sie nach dem Verbleib von Schmetterlingen, die auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Heimlich unterstützt sie eine von Wissenschaftlerinnen gegründete feministische Plattform, in der Frauen noch Hilfe bei Abtreibungen und Aufklärung zu Verhütungsmethoden finden. Als ihre Mutter sie bittet, auf ihre jüngere Schwester aufzupassen, damit sie selbst einen Alkoholentzug machen kann, kehrt sie nach Hause zurück – in ein Zuhause, vor dem sie vor Jahren nach dem Tod des geliebten Vaters geflohen ist und in dem einiges aus den Fugen geraten ist, vor dem die Protagonistin bisher die Augen verschlossen hatte.
Weil Familie eben meist nicht einfach ist
Zoes Vater und ihr Bruder waren in einer der vielen Pandemien gestorben. Und seitdem ist nichts mehr, wie es war. Nicht nur ihre Mutter hatte versucht ihren Kummer mit Alkohol erträglicher zu gestalten. Auch ihre Teenager-Schwerster Hannah flüchtet sich in Alkohol und Partys. Ihre Tante Auguste, die ebenfalls mit im Haus wohnt, igelt sich ein und verlässt aus Angst vor weiteren Krankheitskeimen ihre Wohnung nicht mehr. Als jedoch Sophie, die beste Freundin von Auguste, verschwindet, bleibt den drei Frauen nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach ihr zu begeben.
Zauberwald und Jasmin Schreiber – echt jetzt?
Auf der Suche müssen die drei Protagonistinnen durch einen geheimnisvollen Wald. Von dem hatte ich schon im Vorfeld gelesen. Zauberwald bei Jasmin Schreiber? Wie jetzt? Passt das? Ich war wirklich gespannt. Aber am Ende passt es eben doch. Spannende Wissenschaft, verwoben mit alten Mythen und mit der Magie von Lagerfeuern und dem Erzählen von Geschichten verbunden. Alles durchaus sonderbar und doch auch irgendwie plausibel.
Marcoglossum stellatarum
Marco was? Marcoglossum stellatarum ist der lateinische Name für das Taubenschwänzchen, die Schmetterlingsart, die ihm Buch plötzlich verschwunden ist. Jedes Kapitel im Roman ist nach einem Tier benannt, natürlich inklusive lateinischem Fachbegriff! Soll ja kein Mensch dumm sterben müssen. Die Tiere tauchen dann im Kapitel auch immer irgendwo auf, kleiner Suchspieltipp! Es wäre nicht Jasmin Schreiber, wenn wir nicht noch nebenbei ganz viel über die Natur und ganz viel cooles Angeberwissen lernen würden. Meine Jungs sind absolute Dino-Fans und sonst höre ich immer staunend zu. Aber dank Jasmin Schreiber konnte ich auch mal punkten. Ich konnte ganz stolz erklären, warum es damals Riesenlibellen gab und warum heute nicht mehr. Spoiler: hat was mit dem Sauerstoffgehalt in der Luft zu tun. Mensch, da hat mein Großer aber ganz schön gestaunt! (Danke, Jasmin Schreiber, für diesen kleinen Moment of Glory.)
Ewiger Sonnenschein in Kalifornien und die Komplexität des Lebens
Was es mit It’s always sunny in Califorina auf sich hat?
Tja … das müsst ihr nun schon selbst rausfinden! Ich kann hier ja nicht alles verraten.
Ich verspreche euch aber, es lohnt sich: Ihr bekommt eine dichte, poetische, manchmal rotzige und immer sehr präzise Sprache. Jasmin Schreiber öffnet die Palette der menschlichen Beziehungen, ihren schrulligen Besonderheiten und all den Höhen und Tiefen des familiären Zusammenlebens. Nichts ist einfach, nichts trivial und doch alles auch mit ganz viel Nestwärme und Liebe ausgestattet.
Was ich der Autorin ja persönlich hoch anrechne: Das Buch kommt ohne klassische Liebesgeschichte aus, erzählt dafür aber umso mehr über die Liebe zwischen den Menschen in einer Familie, die immer da war, auch wenn sie zeitweise nicht sichtbar war.
Und wo ist jetzt die Lust auf Zukunft?
Utopie? Naja, wohl eher Dystopie! Aber das Utopische findet sich im Kleinen, in der Bereitschaft der Protagonistinnen, selbst größte Zwänge zu überwinden, sich ihrer Trauer zu stellen, Risiken auf sich zu nehmen und immer wieder weiter zu gehen. Und der Roman endet mit einem utopischen Ausblick, einer Idee, wie die Frauen sich wehren können … aber das lest lieber selbst.
Fazit: Lesen lohnt sich auf alle Fälle oder einfach: Ich mag Jasmin Schreiber. Buch war gut. Könnt ihr auch lesen!
„Endling“ von Jasmin Schreiber ist 2023 beim Eichborn-Verlag erschienen. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.