Wie schreibt man über die Endzeit? Durch diesen schwierigen Inhalt hilft Martin Theis sich selbst und den Leser*innen mit seiner liebevollen Betrachtungsweise, wunderbaren Sprache und pointiert herausgearbeiteter Situationskomik.

Im Rahmen der Klimabuchmesse liest Martin Theis aus seinem Buch am Freitag, den 28.4., 19 Uhr, WERK 2, Halle D und diskutiert mit Autorin Franca Parianen über eine Welt, die auf ihre Wissenschaftler hört.

Autorin Anette Schaumlöffel aus dem Klimabuchmesse-Team stellt euch die „Endzeitreise“ vor.

Gemeinsame Wurzeln

Wer in Nordhessen aufgewachsen ist, weiß, wie komisch es allein schon ist, eine Endzeitreise mit einer Fahrt nach Baunatal anfangen (und enden) zu lassen. Ich lege es offen: Wie Martin Theis, der Verfasser von „Endzeitreise“ (im April 2023 im Tropen-Verlag erschienen), bin ich im Schatten der Schornsteine des Volkswagenwerks aufgewachsen, das dort mitten in Deutschland lange Zeit Getriebe gefertigt hat. Dies Städtchen von dem er berichtet, ist vom Geld des Autoriesen künstlich aus mehreren kleineren Orten zusammengeführt worden und wurde nach dem Flüsschen Bauna benannt, das sich – meist unterirdisch – hindurchzieht.

Hier bleibt alles, wie es war

Es ist schwer, diesen Ort mit etwas so Dramatischem wie der Endzeit in Verbindung zu bringen. Nichts ändert sich hier, sagen die Schornsteine des VW-Werks, die seit vielen Jahrzehnten über dem Städtchen wachen. Hier ist doch alles gut, sagen die Backsteinbauten, der Marktplatz, der Sportplatz, das Schwimmbad, die verkehrsberuhigten Straßen, in denen die Familien, die vom Autobau leben, ein gutes Leben führen können, zwischen Ländlichkeit und Stadt. Und die Bauna hat sich auch noch nicht aus ihrem Bett erhoben.

Journalistische Portraits von Betroffenen und Forschern

Warum dann also Endzeitreise? Der Journalist Martin Theis hat viele Reisen unternommen, um an deren Ziel mit Menschen zu sprechen, die bereits gezwungen sind, sich mit der Erderwämung zu beschäftigen. Er war in Alaska, wo der Permafrost das doch nicht so ewig in ihm gespeicherte Wasser freilässt und so die Siedlungen in Kürze unbewohnbar machen wird. Er hat in Sansibar Algenfischerinnen besucht und in Großenritte seinen Großvater. In Manhattan hat er mit einem Geophysiker und einem Klimaforscher gesprochen, die schon lange um die Entwicklungen, die uns jetzt und in Zukunft drohen, wissen und berichten, und die mit stoischem Unverständnis betrachten, wie ihre Erkenntnisse meistens ignoriert werden.

Das wird schon nicht so schlimm werden

Vielleicht versteht man gerade darum in Baunatal sehr gut, warum nichts geschieht, trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse, trotz Katastrophen, Dürren, Fluten. Es ist, als seien die Menschen eingefroren in einer Haltung des „Das wird schon nicht so schlimm werden“. Selbst in Alaska wird der längst überfällige Umzug des Dörfchens weg von der Küste Jahr um Jahr herausgeschoben. Man schaut sich um und sieht: Die Nachbarn sind doch auch noch hier. Wie in den Orten an den Rändern der Tagebaugruben im rheinischen Braunkohlegebiet.

Ist die Welt untergegangen, schaut man besser in die andere Richtung, oder?

Und auf einmal ist es dann doch passiert. Doch die heimatlosen Menschen, die Entwurzelten, werden nicht beachtet. Die Energieindustrie hat uns doch klar gemacht, dass es für unser aller Bestes sei, die Braunkohle zu verstromen, die Erderwärmung ebenso zu ignorieren wie das Steigen der Meeresspiegel. Da müssen halt ein paar Häuser weichen, die Bewohner bekommen doch ein schönes, nigelnagelneues Dorf gebaut. Wer daran leidet, wer die Wunde sieht, die die Zerstörung hinterlässt, immer noch darauf hinweist, obwohl die Fakten doch längst geschaffen sind, so jemand ist höchstens lästig. So lästig wie die Frage, warum Volkswagen die eAuto-Produktion so vernachlässigt hat, warum die schädlichen Abgase in den Dieselmotoren nicht durch bessere Technik, sondern mit Betrug behandelt wurden.

Die Politik dachte in Legislaturperioden. Die Banken dachten in Quartalen, Jahresbilanzen und Kreditlaufzeiten. Immobilienentwickler dachten in der Zeit, die es brauchte, ein Haus zu bauen und mit Gewinn weiterzuverkaufen.

Umfassende Recherche

Theis recherchiert das Thema gründlich, von den Mayas bis in unsere nahe Zukunft, er ist ein hervorragender Beobachter. In seinen Berichten baut er den Menschen mit der Beschreibung ihrer Umgebung eine Bühne, lässt sie zu Wort kommen, immer mit einer liebevollen Ironie, die ihren Charakter ins Licht rückt. Wie kommt es, dass die Warner isoliert zu sein scheinen, warum nur achtet keiner auf sie?

Überhaupt zeichnete sich ab, dass die Menschen Klimaschutz grundsätzlich begrüßten, jedoch ungefähr in dem Maße ablehnten, in dem sie selbst von konkreten Schritten betroffen waren.

Der Vater kann nicht nur Beobachter sein, er muss auch handeln

Aber der Autor hat seinen Erzähler in eine Situation gebracht, wo er nicht mehr nur Beobachter ist. Als Vater eines Sohnes, der viele Fragen stellt und gute Antworten verdient, ist er mit einem Mal verantwortlich für eine Zukunft, die über sein eigenes Leben hinausgeht. Die Beobachtungen, die er auf seinen Reisen sammelt, fällen nicht nur ein Urteil über sein eigenes Leben, sie verurteilen auch die Zukunft seines Sohnes. Und aus dem Beobachter wird einer, der Lösungen sucht, einer, der nach Ehrlichkeit ringt.
„Wann geht die Welt unter?“, fragt sein Sohn. Und Theis weiß, dass sie in einigen Teilen bereits dabei ist. Aber das kannst du doch deinem Kind nicht sagen. Und anlügen darfst du es auch nicht.

Vor dem entscheidenden Maya-Datum im Dezember 2012 wollte ich mich vorbereiten, Weltuntergang hin oder her, es konnte ja nicht schaden, tausend Liter Wasser im Keller zu lagern, ein bisschen Tränengas und einen Vorrat an Konserven. Doch hatte ich nicht mal einen Keller, geschweige denn Geld für Vorräte. So beschloss ich zu sterben, wie alle anderen Menschen auch.
Damit bin ich lange gut gefahren.
Nur ist dies keine Lösung, die ich Nimo anbieten kann. Seit seiner Geburt sehe ich mich als Anteilseigner der menschlichen Zukunft und habe einen beträchtlichen Teil meiner Existenz in den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen, investiert. Dafür will ich mein Bestes geben, was auch immer das sein mag.

Winzige Metapher für Resilienz im Gurkenglas

Mit von der Partie auf dieser Reise von den Rändern der Welt zu ihrem Nabel ist ein Vertreter der vermutlich ältesten tierischen Gattung auf dieser Erde. Triops, in Spielzimmern als „Urzeitkrebse“ bekannt, sind schon Profis im Überstehen diverser Weltuntergänge. Ob Meteoriteneinschläge, Dauerverdunkelung durch Vulkanausbrüche, Erderwärmungen, Eiszeiten, irgendwo wartet immer noch ein vor Trockenheit verschrumpeltes Triops-Ei auf den erlösenden Regen, der dann die nächste Generation hervorbringt.

Die Hoffnung ist noch nicht verloren

Und vielleicht bleibt Baunatal ja doch, wie es immer war, wenn Volkswagen jetzt endlich auf ehrlich macht und den Leitlinien grüner Politik folgend, humpelnd und mit immenser Verzögerung auf den eMobilitätstrend aufspringt.
Die Hoffnung ist nicht verloren, überall da, wo Menschen nicht die Augen verschließen vor den Veränderungen um sie herum. Und da passen Algenfarmerinnen in Sansibar ihre Anbaumethoden an das erwärmte Wasser an, baut ein Engländer in Sachsen auf einem alten Kasernengelände einen Selbstversorgerhof auf, für den Fall, dass die Zivilisation scheitert. Und ein sturer Bürgermeister im Süden von Deutschland findet immer neue Mehrheiten dafür, Umweltschutz und Nachhaltigkeit umzusetzen, obwohl die politischen Parteien (einschließlich der eigenen) zunehmend mit ihm fremdeln.

Wir und die Urzeitkrebse

Möglicherweise haben wir Menschen, wenn wir uns einmal den Fakten stellen und danach handeln, mehr mit dem Triopsen gemein, als wir denken. Daraus sollten wir unbedingt was machen.

In das Buch könnt Ihr hier online reinlesen.