Kalifornien und Florida mit ihren „blauen Himmeln“ sind Sehnsuchtsorte, oder eigentlich waren sie es. Bereits jetzt und erst recht in der unbestimmt nahen Zukunft, wenn der eine US-Bundesstaat ständig von Dürre und Wildfeuern heimgesucht wird und der andere von Regen und Hurrikans. Gisela Wehrl stellt euch „Blue Skies“ vor.

Blau, blau, blau sind alle diese Himmel und obwohl Klimakrise und Artensterben hier schon längst den Alltag bestimmen, machen die Menschen in T.C. Boyles Familienroman weitgehend so weiter wie zuvor.

Und das nicht etwa, weil sie es nicht besser wüssten. Ihr Leben mit all seinen ausgesprochenen wie unausgesprochenen Zwängen hat sie in einen Status emotionaler Unausweichlichkeit katapultiert. Cooper ist Entomologe, hängt in seiner Dissertation und überlegt sich nicht immer wieder, was Insektenforscher*innen noch analysieren können, wenn alle Insekten sterben. Zu Beginn des Romans motiviert Cooper seine Mutter Ottilie noch dazu, eine Grillenzucht anzufangen. Das neue Hobby gibt Ottilie neuen Sinn in ihrem drögen Hausfrauendasein und sie stürzt sich in die Perfektionierung einer Insekten-Dinnerparty: Klimakrise und Artensterben als Livestyle-Performance. Die jüngere Tochter Cat zeigt noch viel stärkere Leugnungsanteile und erliegt dem Schein der kommerziellen Welt. Ihr Verlobter ist Rum-Influencer und um dessen Performance etwas entgegenzusetzen, kauft sie einer spontanen Eingebung folgend, eine Tigerpython.

„Todd würde überrascht sein. Er würde lächeln und sagen: »Cool«, aber innerlich würde er dagegen sein. Oder vielleicht auch nicht – vielleicht würde er zusammen mit ihr darauf einsteigen, und sie würde ihm ebenfalls eine kaufen, die er dann tragen könnte, wenn sie ausgingen, um ein bisschen anzugeben, und warum auch nicht? Warum nicht mal anders sein? Zum Leben gehörte doch noch mehr als Arbeit und geliefertes Essen und Netflix und auf der Veranda sitzen und zusehen, wie die Flut den Strand abtrug, als wäre man schon jetzt hundert Jahre alt.“

Cats Selbstbezogenheit lässt sie häufig verzogen wirken, aber Boyles Stärke liegt auch darin, dass seine Figuren den Liebenswürdigkeitswettbewerb nicht mitmachen müssen.  Sie sollen sein wie wir selbst mit ihren Eitelkeiten und falschen Entscheidungen.

Wie die Menschheit als Ganzes in der Klimakrise mit vielen kleinen und großen Entscheidungen die Erderhitzung und das Artensterben in Gang gesetzt hat, so gestalten auch die drei Hauptprotagonist*innen ihr eigenes Schicksal freiwillig und unfreiwillig. Boyle seziert diese Handlungen mit seiner scharfsinnigen Beobachtungsgabe. Vieles entwickelt sich folgerichtig, erst recht, wenn man andere Roman von ihm kennt. ‚Die Natur schlägt zurück!‘, würde ich den Dreien gerne immer wieder zurufen! Aber gerade dieses Gefühl der Folgerichtigkeit entspricht jenem, das ich habe, wenn ich an Klimakrise und Artensterben denke: Die Wissenschaft sagt seit Jahrzehnten, was passieren wird, aber dennoch bleiben die Gesellschaften in ihrem Trott. Und selbst wenn große Katastrophen passieren, reicht das nicht aus, um diese merkwürdige Lethargie wirklich zu durchbrechen.

Unsere Art zu leben behalten wir bei, selbst, wenn alle Insekten ausgestorben wären und nun die ersten zurückkehrten:

„In diesem Augenblick – und sie dachte weder an Coopers aussterbende Insekten noch an diese Schlange, die womöglich hier irgendwo war – spürte sie einen Stich im Nacken und schlug instinktiv danach. In der Mitte ihrer Hand-Arche klebte, flachgedrückt wie ein präpariertes Exemplar, ein Moskito.
Noch während sie ihn untersuchte und dabei – was? Erleichterung: – verspürte, landete bereits der nächste und sang das Blutlied.“

Solche kleinen Szenen schildert Boyle so präzise, wie wir es von ihm gewohnt sind. Und wenn mich „Sprich mit mir“ und „Die Terranauten“ stellenweise enttäuscht haben, dann konnte ich hier ganz mit Cat, Cooper und Ottilie mitgehen, auch wenn ich keine*n von ihnen wirklich mochte. Sie sind verloren in einer Situation, die sie selbst nicht geschaffen haben und doch beständig miterschaffen.

Boyle bietet keine Analysen der Klimasituation, es ist wie es ist, und erst recht bietet er keine Lösungen an. Für manche mag das hoffnungslos scheinen, ich konnte bei der Lektüre auflachen, bitter, aber es war ein Lachen. Was wir daraus machen, unter diesen blauen Himmeln, das liegt an uns selbst.

„Blue Skies“ von T.C. Boyle ist 2023 beim Hanser Verlag erschienen. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.

Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.