Nachhaltigkeit war über viele Phasen der Menschheitsgeschichte notwendig und selbstverständlich. Die Historikerin Annette Kehnel widmet sich dem Thema und was wir für die Gegenwart daraus lernen können in ihrem Buch „Wir konnten auch anders“, das 2021 im Blessing Verlag erschienen ist.
Anette Schaumlöffel ist selbst Autorin und hat Annette Kehnels Buch für die Klimabuchmesse gelesen:
Nachhilfe in Geschichte
Die Geschichtsbetrachtung seit dem 19. Jahrhundert hat – so schreibt sie – versucht, die Menschheitsgeschichte in eine Erfolgsstory des industriellen Fortschritts umzudichten. Dabei wurden und werden (bekanntes Beispiel: „Gewalt“ von Stephen Pinker) die Lebens- und Gemeinschaftsstrategien der vormodernen Menschen verfälscht oder ignoriert. Dem in der Regel sehr einfachen und düsteren Mittelalterbild unserer Zeit setzt Kehnel eine ganze Reihe von erstaunlichen und Mut machenden Beispielen entgegen.
Gute Traditionen
So versteht sie Nachhaltigkeit in unterschiedlichen Bezügen: Da ist zum einen der nachhaltige Umgang mit der Natur, den Waldgenossenschaften und z. B. die Bodenseegemeinschaft über viele Jahrhunderte gepflegt haben, stets durch Austausch der Beteiligten den wechselnden Gegebenheiten angepasst. Nachhaltig bedeutet auch, dass es kein Wort für Abfall im heutigen Sinne gab. Verlor ein Gegenstand seinen Glanz, wurde er zunächst von anderen genutzt, bei Bedarf repariert und schließlich als nutzbares Material neuer Verwendung zugeführt. Worauf wären die Ideen der Aufklärung notiert worden, wenn den Papiermachern die Lumpen ausgegangen wären?
Selbstverständliches Miteinander
Zum anderen zeigt sie Nachhaltigkeit in sozialen Belangen. Die Kaufleute der aufsteigenden Handelsstädte der frühen Neuzeit machten Riesengewinne mit ihren Unternehmungen. Die Banken waren mit dabei und sicherten die Kredite mit horrenden Zinsen ab, da die Risiken enorm waren. Ein Schuster, der mal eben extra Geld benötigte, um sich Leder zu kaufen, brauchte da nicht anzuklopfen und nach einem Kredit zu fragen. So entstanden in vielen Städten Systeme, die es auch den kleinen Leuten ermöglichten, durch kurzfristige Kredite ihren Lebensunterhalt weiter sichern zu können. Seien es Mikrokreditbanken, beurkundete Schuldbriefe oder „Kerbhölzer“, die ein lange genutztes Mittel von Krediten unter gleichberechtigten Akteuren darstellten.
Seelsorge für die Zukunft
Neben der sozialen Motiviation (Mildtätigkeit war eine der wichtigsten Tugenden) spielte hier auch die religiöse Untermauerung eine wichtige Rolle. Die im Katholizismus ausgefeilte Beeinflussung des Seelenheils führte dazu, dass keiner der Gewinner sich auf seinem Gold ausruhte. Er brauchte seine Kinder und Kindeskinder und möglichst noch viele andere, die sich seiner in Fürbitten und Gebeten erinnerten, um seine arme Seele möglichst rasch durchs Fegefeuer zu befördern.
„In der Vormoderne war es selbstverständlich, dass Menschen, die zu Geld gekommen waren, großzügig in gemeinnützige Projekte investierten.“
Langfristiges Handeln
Das mag uns aus heutiger Sicht sonderbar erscheinen, hat aber ein Ziel, das wir uns unbedingt zum Vorbild machen müssen: Das Bemühen, mit den eigenen Taten die Zukunft positiv beeinflussen zu wollen. Jakob Fuggers Unternehmung, in seiner Stadt Augsburg ein menschenwürdiges Wohnquartier für „unschuldig in Not geratene“ Menschen zu errichten, hat die jetzt fünfhundert Jahre genutzte Fuggerei in die Welt gesetzt und für deren dauerhafte Erhaltung, sogar für den Wiederaufbau nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg gesorgt.
Gemeinschaften wirken über Jahrhunderte
Wenn Menschen sich zusammenschließen, sind sie nicht nur besser gegen Schicksalsschläge gefeiht, sie können Dinge schaffen und erhalten, die auch in zukünftigen Generationen nutzbar sind. Davon sprechen die Klöster, die als Zusammenschluss von Besitzlosen wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich waren. Dies sieht man auch in den Beginenhöfen, die – obwohl die Bewohnerinnen ihren Besitz behielten – über Jahrhunderte auch den Nichtvermögenden Schutz und Lebensunterhalt boten. Interessant sind hier auch die Brückenbruderschaften, denen nicht nur die bekannte Brücke bei Avignon ihre Entstehung und ihre Erhaltung verdankt.
Viele gute Ideen zum Nachmachen
Annette Kehnel breitet in ihrem Buch eine Fülle an historisch gut belegten Praktiken der Nachhaltigkeit vor uns aus. Wir Menschen, so zeigt sie deutlich, sind sehr gut in der Lage, uns umeinander und um die Ressourcen zu kümmern, die uns umgeben. Neben den vielen Stimmen, die uns einreden wollen, wir alle seien so egoistisch, dass es gar keinen Sinn mache, über das eigene Wohl hinaus zu denken, ist Kehnels unaufgeregte Erzählung von Fakten, die anderes belegen, erleichternd und macht Mut. Sie selbst ist Mutter und wurde durch die Fridays for Future-Bewegung zu ihrem Buch inspiriert. Möge es uns Heutigen viele gute Ideen liefern!
Annette Kehnels „Wir konnten auch anders“ ist im Blessing Verlag 2021 mit 486 Seiten erschienen.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.