Wie steht es um die Zerrissenheit unserer Gesellschaft? Zu diesem Thema haben Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser ein umfangreiches Werk veröffentlicht. Helga von der Klimabuchmesse hat ihr Buch „Triggerpunkte“ gelesen und für euch rezensiert.

„Die Klimaarena ist alles andere als eindimensional.“

Stimmt die Behauptung, dass wir uns von einer Dromedar- zu einer Kamelgesellschaft entwickeln? Das fragen sich Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrem bei Suhrkamp erschienen Sachbuch. Denn Konflikte, auch wenn sie leidenschaftlich und unnachgiebig geführt werden, müssen nicht unbedingt Ausdruck einer fortschreitenden Polarisierung sein, so die Sozialwissenschaftler.

Durch ihre faktenreiche Analyse stellen sie dar, dass die bundesdeutsche Gesellschaft weiterhin dem Rücken des Dromedars gleicht, sich also die Mehrheit nicht – kamelhöckergleich – unversöhnlich gegenüber steht. Um diesen Zustand zu erhalten, so die Autoren, sind aber wir alle gefragt. Wir müssen uns gegen diejenigen wehren, die einen Gewinn aus der Polarisierung ziehen. Dies ist die Kurzfassung dieses lesenswerten Bestsellers – und jetzt ein paar Details:

„Der öffentliche (und leider vielfach auch der wissenschaftliche) Diskurs krankt bislang daran, dass von der oft hochgradig stilisierten Form, in der Konflikte in den Medien erscheinen, auf eine polarisierte Tiefenstruktur der Gesellschaft geschlossen wird.“

Was sind Triggerpunkte?

Triggerpunkte nennen sie ihr Analyse-Werkzeug, mit dem sie erfassen, „wie es dazu kommt, dass bestimmte Debatten mit großem Erregungsüberschuss geführt werden.“ Diese Trigger offenbaren sich in Abwehr- und Konfliktdynamiken, wenn zentrale Hintergrunderwartungen, normative Differenzen und unbewältigte Auseinandersetzungen dahinter stehen. Einfach ausgedrückt – auch eine Stärke dieses Sachbuchs – die „universale Formel des Getriggertseins“ ist erkennbar durch den Satz: „Das geht zu weit.“ Und den kennen wir doch alle, oder?

Unser Fokus liegt nicht so sehr darauf, wie Ungleichheit selbst entsteht und reproduziert wird, sondern wie über sie gestritten wird; also wo und warum ungleiche Verhältnisse kontrovers werden und wie sich an ihnen die Geister scheiden.“

Streit als Möglichkeit, Konflikte konstruktiv zu lösen

Gleich zu Beginn betonen die Autoren, das Streiten nicht das Problem ist, denn Streit zeigt Interesse. Jedoch sollten Streitende sich fragen, ob es ihnen allein um den Streit gehe, oder um das Thema – eine einfache Reflexion, die uns hilft, fair und inhaltlich zu bleiben und das auch einzufordern. Die Autoren greifen diesen emotionalen Aspekt im zweiten Teil ihres Buches mit ihrem wichtigsten Kapitel, Affekt und Struktur, wieder auf. Hier definieren und analysieren sie sogenannte Polarisierungsunternehmer und fragen nach der Bedeutung der Inszenierung von Konflikten beziehungsweise von Streit in den Medien. Letztendlich zeigt sich am konstruktiven Umgang mit Streitigkeiten, ob es die Zivilgesellschaft und die demokratisch-etablierten Parteien entgegen der lauten, politisierten Ränder der Gesellschaft schaffen, einen gemeinsamen Weg zu finden. Im Angesicht der Klimakatastrophe ist es für den kollektiven Selbsterhalt besonders wichtig, die aggressiven Ablenkungsmanöver ins Leere laufen zu lassen. Darum warnen die Autoren davor, die oft medial verbreiteten Polarisierungen mitzumachen.

„Gerade die Unschärfe ideologischer Positionen und das Aufweichen von Parteibindungen öffnet jedoch Türen für eine stimmungsgetriebe Affektpolitik, die Polarisierungsunternehmer gewinnbringend zum Einsatz bringen, allen voran bei der Rechten.“

Vier Arenen der Ungleichheit

Die Autoren teilen die Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft in vier Arenen. Dabei betrachten sie nicht den Kampf in der Arena, sondern beobachten die Kämpfe und Verletzungen, die auf der Tribüne stattfinden. Sie gehen also in die Breite der Gesellschaft und blicken auf die bewussten und unbewussten Handlungen von uns Mitgliedern. Die drei etablierten Arenen, die sie im Buch ausführen, fassen sie gut in diesem Satz zusammen:

„Wie Eigentum und Märkte in der Oben-Unten-Arena oder das Los der nationalen Geburtslotterie in der Innen-Außen-Arena erzeugt die ungleiche Anerkennung sozialer Gruppen in der Wir-Sie-Arena handfeste Ungleichheitskonflikte.“

Die gute Nachricht aus ihrer Analyse der vierten, der Klima- und Umwelt-Arena:

„Der sorgenvolle Blick auf die Umwelt ist ein gesellschaftliches Grundgefühl, das im gesamten Untersuchungszeitraum zwischen 80 und 90 Prozent der Bevölkerung teilen. Gar keine Sorgen machen sich nur sehr wenige.“

Und eine Mut machende Erkenntnis gibt es noch dazu: Das Umweltbewusstsein ist durch die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten diffundiert, denn mit dem Blick auf den Klimawandel ist der große Abstand zwischen Bildungs- und Einkommensgruppen kleiner geworden. Dennoch existieren weiterhin klimapolitische Spaltungslinien. So befürchten gerade die unteren Schichten, dass die ökologische Transformation den Wohlstand gefährden könnte.

Die Gesellschaft Deutschlands ist – hoffentlich dauerhaft – ein Dromedar

Trotz klarer ideologischer Unterschiede zeige sich die Gesellschaft in Deutschland, im Gegensatz zu den USA, mit einem „Drang zur Mitte und einer deutlich schwächeren Lagerbildung, als man angesichts vieler populärer Diagnosen glauben könnte.“ Darin steckt eine Medien- und Populismuskritik, die gerne noch deutlicher hätte ausfallen dürfen. Doch die Wissenschaftler warnen durchaus davor, dass die stille gesellschaftliche Mitte von den lauten Rändern übertönt wird. Aus einer oft herbeigeredeten falschen Polarisierung könnte langfristig, obwohl irrtümlich, gesellschaftliche Realität werden.

Im letzten Absatz von „Triggerpunkte“ rufen die Autoren sowohl die etablierte Politik, wie auch Medien, Zivilgesellschaft und Vereine dazu auf, das „Miteinander der Unterschiedlichen“ moralisch zu gestalten, denn nur so könne eine Integration durch Konflikt gelingen.

Angereichert ist der Text mit gut gemachten Grafiken. Mein Tipp: einfach reinblättern und dann weiterlesen. Nicht nur für mich ist dieses Buch das neue Standardwerk zum Zustand der deutschen Gesellschaft: Für „Triggerpunkte“ erhielten Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser am 14. Mai 2024 den Preis „Das politische Buch 2024“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.

„Triggerpunkte“ bietet eine fundierte Analyse zur Spaltung der deutschen Gesellschaft.

„Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser. Edition Suhrkamp, 2023, 540 Seiten. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.

Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.