Die Klimabuchmesse im Interview mit der Leipziger Lerche

Wer an die Klimakrise denkt, stellt sich meist erstmal Horrorszenarien vor: Brände, Überschwemmungen, unerträgliche Hitze. Auch die Medien fokussieren sich vor allem auf dystopische Erzählungen. Die jährlich zeitgleich zur Leipziger Buchmesse stattfindende Klimabuchmesse beweist, dass es auch anders gehen kann: Im Interview mit Anette Schaumlöffel und Raffael Weger von der Klimabuchmesse zeigt sich, dass besonders Utopien ein Schlüssel zum Erfolg sein könnten.

 

Der Copernicus-Klimawandeldienst prognostizierte für 2024 die Überschreitung der 1,5-Grad-Marke. Verkommt die Bekämpfung der Klimakrise damit zu einer bloßen Utopie?

Wir haben es leider auf jeden Fall verpasst, so rechtzeitig gegenzusteuern, dass die Klimaveränderungen keine negativen Folgen haben werden. Das bedeutet aber nicht, dass damit alles vorbei wäre. In der Literatur hat sich die Klimakrise in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Climate Fiction niedergeschlagen. Darin werden Aspekte der Klimakrise thematisiert und mit literarischen Beiträgen versucht, diese noch abzuwenden. Inzwischen schreibt Aiki Mira, eine der bekanntesten Stimmen der kontemporären deutschsprachigen Science Fiction, dass es Zeit für Post-Climate-Fiction wäre. Diese erkennt den zukünftigen Kollaps an und versucht von dieser Prämisse aus, die Zukunft neu zu denken. Die Frage ist dann nicht mehr: „Wie können wir die Krise verhindern?“, sondern: „Wie können wir bestmöglich mit ihr umgehen?“. Bestmöglich, das schließt bei Aiki Mira nicht nur die Menschen mit ein, sondern auch alle non-humanen Lebewesen. Selbst wenn wir das Ziel nicht erreicht haben, lohnt es sich immer, für eine bessere Welt und Zukunft weiterzukämpfen.

 

Die Organisation Extinction Rebellion polarisiert mit apokalyptisch anmutenden Aktionen und hat die absolute Katastrophe, das Aussterben, bereits im Namen. Das kann auch abschreckend wirken. Ist dystopisches Denken also kontraproduktiv für die Klimabewegung?

Dystopisches Denken kann zunächst dabei helfen, Menschen wachzurütteln, indem es ihnen die Konsequenzen ihres Nichthandelns vor Augen führt. Wie der Amerikanist Matthew Schneider-Mayerson in einer Studie zur Wirkung von Climate Fiction allerdings feststellt, können dystopische Narrative auch einen gegenteiligen Effekt haben. Anstatt Menschen ins Handeln zu bringen, können sie diese in die Mut- und Tatenlosigkeit treiben. Wie geht es mir, wenn ich realisiere, dass ich mich in der sechsten globalen Welle des Artensterbens befinde? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich mich lieber gar nicht mehr mit dem Thema beschäftige und am Ende mehr die bekämpfe, die mich daran erinnern, als die, die wirksame Gegenmaßnahmen verhindern. Dystopien haben also ihre Berechtigung, allerdings bedarf es unserer Meinung nach unterschiedlicher Arten von Narrativen, um wirklich etwas zu verändern.

 

Wie können Utopien helfen, die Eindämmung der Klimakrise voranzubringen?

Viele Veränderungen werden nicht angegangen, weil Menschen sie sich nicht vorstellen können. Wir alle wachsen innerhalb einer Gesellschaft auf, deren dominante Weltbilder uns nachhaltig prägen. Es braucht viel Vorstellungskraft, um etwas zu imaginieren, das diesen völlig zuwiderläuft. Geschichten können dabei helfen. Jede Utopie galt in ihrer Entstehungszeit als absurd und unerreichbar. Unsere moderne Demokratie ist nur eine davon, ebenso wie ein Leben ohne fossile Energieträger. Wenn ich nicht weiß, wohin ich will und keine Vorstellung davon habe, wie es dort aussehen könnte, fehlt mir ein wesentlicher Teil der Motivation, um etwas zu verändern. Und wir müssen viel verändern, um die Herausforderungen der Klimakrise gemeinsam zu meistern.

 

Mit der Klimabuchmesse vereint ihr die uns alle real bedrohende Klimakrise mit den fantastischen Welten der Literatur. Wie kamt ihr auf die Idee der Klimabuchmesse?

In der Buchstadt Leipzig lag die Idee nahe, im gedruckten Wort Unterstützung zu suchen. Die Initiator:innen, alle leidenschaftliche Leser:innen, haben sich in einigen for Future-Bewegungen (Parents, Teachers, Writers, etc.) kennengelernt. Getrieben von der Frage, was sich gemeinsam unternehmen ließe, um dem Thema Klima mehr Öffentlichkeit zu geben, gründeten sie die Klimabuchmesse, die nun schon ihr fünftes Programm plant. Neben fiktionalen Texten geben wir auch Sachtexten für Groß und Klein eine Bühne.

 

Welche Rolle spielen sowohl utopische als auch dystopische Literatur für den Fortschritt der Klimabewegung?

Rachel Carsons „Silent Spring“, das die Klimabewegung aus der Taufe gehoben hat, beginnt mit einer dystopischen Erzählung. Auch wenn immer noch Pestizide verwendet werden, hat sie das Bewusstsein der westlichen Welt für das Verwobensein des Menschen mit der Natur geweckt. Aus heutiger Sicht muss allerdings festgestellt werden, dass es uns nicht länger an Informationen mangelt. Was uns fehlt, sind Vorstellungen davon, wie eine bessere Zukunft konkret aussehen könnte. Während dystopische Erzählungen also in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt haben, glauben wir, dass die Klimabewegung nun vor allem utopische Narrative braucht, um mehr Menschen ins Handeln zu bringen.

 

Welche utopischen oder dystopischen Bücher zur Klimakrise haben euch nachhaltig beeindruckt?

Da gibt es vermutlich ebenso viele Antworten wie Mitglieder der KBM. Hier daher nur einige Beispiele:

Ursula le Guin: „Das Wort für Welt ist Wald“

Ernest Callenbach: „Ökotopia“

Jan Hegenberg: „Weltuntergang fällt aus“

Rutger Bregmann: „Im Grunde gut“

Naomi Oreskes und Erik Conway: “The Collapse of Western Civilization: A View from the Future”

Nnedi Okorafor: „Lagune“

Theresa Enzensberger: „Auf See“

 

Die Klimabuchmesse 2024 stand unter dem Motto „Geschichten, die Lust auf Zukunft machen“. Wieso habt ihr euch damals für dieses Motto entschieden?

Wir haben festgestellt, dass uns die trüben Zukunftsszenarien aus allen Richtungen deprimierten und die Kraft raubten. Das Motto entstand aus unserem eigenen Bedürfnis nach positiven Geschichten der Machbarkeit – ein Bedürfnis, von dem wir annahmen, dass es andere vielleicht ebenso hätten. Die zahlreichen Besucher:innen unserer Veranstaltungen während der KBM 2024 haben uns gezeigt, dass wir damit Recht hatten.

 

Sind Utopien auch zur diesjährigen Klimabuchmesse Bestandteil eures Programms?

Auf jeden Fall! Möglicherweise haben wir mit „Geschichten, die Lust auf Zukunft machen“ einfach unser Motto gefunden. Zumindest ist es auch für 2025 unser Leitstern, nach dem wir unser Programm zusammengestellt haben. Im Sachbuchbereich freuen wir uns da ganz besonders auf die Veranstaltung „Den Club of Rome fragen… Wie schaffen wir eine klimagerechte Zukunft?“ Und für alle Belletristik-Fans wird es auch dieses Jahr wieder ein literarisches Utopie-Panel mit Starbesetzung geben.

 

Wie sieht eure Utopie der Welt in 100 Jahren aus?

Vermutlich wie viele andere Utopien: Dass Menschen und non-humane Lebewesen gemeinsam in einer intakten Welt leben, deren Biosphäre nicht länger von der sich ausbreitenden Technosphäre bedroht wird, sondern in Einklang, vielleicht sogar in Symbiose mit ihr existiert. Es geht nicht darum, in eine technikfreie Welt zurückzukehren. Wäre es nicht vielmehr erstrebenswert, wenn wir all unser Wissen und die technischen Erkenntnisse zum Wohle vieler nutzen würden? Und vielleicht kann uns Künstliche Intelligenz ja sogar dabei helfen. In jedem Fall wird es wichtig sein, bei jeder neuen Technologie gründlich darüber nachzudenken und zu diskutieren, ob diese überhaupt eingesetzt werden soll und wem das nützen bzw. schaden würde. In der Zusammenarbeit für die KBM haben wir außerdem festgestellt, dass wir viel zustande bekommen, ohne dass einzelne Personen das Sagen haben. Wir halten Hierarchien also für überschätzt und so wird es auch den Menschen gehen, die es in hundert Jahren geschafft haben werden, Strukturen aufzubauen, in denen nicht die Einzelinteressen einiger Weniger dominieren, sondern ein gleichberechtigtes Miteinander aller stattfindet.

 

Das Interview mit Anette Schaumlöffel und Raffael Weger führte Carmen Jenke.

Das gesamte Interview wurde ursprünglich in der 62. Ausgabe der „Leipziger Lerche“ im Frühjahr 2025 abgedruckt. Wir danken den Herausgeber*innen für die Erlaubnis, das Interview auch an dieser Stelle mit euch teilen zu dürfen.