Schon jetzt ist die wirkliche Welt oft zu schlimm, als dass man Lust hätte, sich darin aufzuhalten. Wie verlockend erscheint es da, sich in eine Spielwelt zurückziehen zu können? Je immersiver, also je kompletter, erfahrbarer und abwechslungsreicher, desto besser.

Zusammenbruch der schönen Kunstwelt

Willkommen in Proxi, der grenzenlosen virtuellen Spielwelt in Aiki Miras gleichnamigem Roman. Dieser spielt in einer krisengeschüttelten Zeit, in der die Umwelt außerhalb der Städte fast komplett zerstört ist. Darum begegnen sich die Protagonist*innen in Proxi. Kawi ist eine professionelle Onlinespielerin. Um in immer wieder neuen Gestalten (Panther!) in der virtuellen Welt bei Wettbewerben zu kämpfen, muss ihr realer Körper sich keinen Schritt aus ihrem Zuhause herauswagen. Tell lebt sein wirkliches Wesen als Sängerin Monae bei Auftritten in Proxi aus, während er in seinem männlichen Geburtskörper mit dem Motorrad die Slums der Stadt durchstreift. Die Biosynth Dion entflieht ihren Erschaffer*innen, als sie Wind davon bekommt, dass sie zerstört werden soll. Bei ihrer Flucht treffen die drei in Proxi aufeinander. Doch als Kawi und Monae Dion retten wollen, stürzt die digitale Welt in sich zusammen und sie landen in der unfreundlichen Realität.

Leben in der Plastikwüste

Ihres virtuellen Lebens- und Zufluchtsraumes beraubt, finden sich Kawi, Tell und Dion auf der gemeinsamen Suche nach dem Ort, an dem sie hoffen, eine Sicherheitskopie der virtuellen Spielwelt Proxi zu finden, um sie wieder neu hochfahren zu können. In einem Solarcamper verlassen sie die Stadt und ihre noch halbwegs funktionierende Infrastruktur. Außerhalb liegt Proto, eine Wüste nicht aus Sandkörnern, sondern aus fein zermahlenem Plastik. Abgeschnitten vom „Stream“ gibt es hier kein Wissen mehr, sondern nur noch Gerüchte. Diesen folgen die drei Gefährt*innen, die nichts so sehr eint wie das Bemühen, ihr wirkliches Wesen voreinander und vor der Welt zu verbergen. Dabei stoßen sie auf überraschende Gemeinschaften von Menschen, knüpfen Freundschaften zu Solartrolls, Tieren und Pflanzen. Auf ihrer Reise werden die drei immer wieder von ihren inneren Konflikten eingeholt und die großen Fragen werden gleichermaßen vom Plastiksand verschüttet und vom Wind wieder freigelegt.

Tiefgründiges Leseerlebnis

Mehr möchte ich nicht über der Handlung verraten, die uns an unerwartete Orte in dieser Welt fühlt, in der unsere Zukunftsträume zu Pixeln zerfallen sind. Das Buch selbst ist ein ganz eigenes Leseerlebnis. Dafür sorgen auch Aiki Miras erfundene Sprachen, zum Beispiel das „Euromisch“, die besonders glaubwürdig klingen, wenn sie live gelesen werden. Schnell wird spürbar, dass hinter dem erfundenen Slang der Zukunft eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Jugendsprache steckt, wie auch viele andere Aspekten dieses eigenwilligen Buches tiefgehender Recherche und neuen Erkenntnissen zeitgenössischer Philosophie entstammen.

„»In einer einzigen vernetzten Welt zu leben bedeutet, dass wir andauernd die Gleichzeitigkeit von schnellen Krisen und langsamen erleben. Wir müssen unterschiedliche Zeiten zugleich bewohnen.«

Tell fügt hinzu: »Das ist schwer. Auf mehreren Zeitebenen zu koexistieren und zu handeln.«

Dion seufzt. »Das ist die zentrale Herausforderung einer PolyWelt. Der einzige Weg.«

Tell nickt. »Sich bloß auf die jeweils akute Krise zu konzentrieren, auf die Rückkehr normaler Zeiten zu warten und die große, schleichende Krise wie das Sterben des Planeten zu ignorieren, ist der Weg in die Katastrophe.«

»Wesh, bre, wesh, was können wir schon tun?«, will Kawi wissen.

Mit einem Strahlen im Gesicht, das Kawi nicht einordnen kann, antwortet Dion: »Das, was wir in Proto gelernt haben: durch die Erschütterungen navigieren und uns gleichzeitig darauf vorbereiten, den großen Sturm zu bewältigen.«“

Wir freuen uns darauf, dass Aiki Mira mit „Proxi“ am diesjährigen Utopie-Panel der Klimabuchmesse teilnimmt (Samstag, den 29.03. ab 21:00 Uhr im Westbad Leipzig)!

„Proxi. Eine Endzeit-Utopie“ von Aiki Mira, Fischer Tor Verlag, 336 Seiten. In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.