Kann ein Garten politisch sein? Artemis Wind hat das Buch für die Klimabuchmesse gelesen – und sagt dazu: die Antwort der in diesem Sammelband veröffentlichten Artikel fällt eindeutig aus. Denn die Autor:innen behandeln die aktivistische Urban Gardening-Bewegung und deren Beitrag zur ökologischen Wende.
„Unterwegs in die Stadt der Zukunft – Urbane Gärten als Orte der Transformation“, erschienen im transcript Verlag, zeigt, wie städtische Gemeinschaftsgärten darüber hinaus auch das soziale Klima verbessern und zu einem ganzheitlichen Umdenken führen können.
Gärten als politischer Protest
Mit Urban Gardening hatte ich für meinen Teil noch kaum Berührungspunkte. Beim Aufschlagen des Buches dachte ich, es würde allgemein städtische Grünanlagen behandeln. Darum zunächst eine knappe Einführung: Unter urbanen Gärten werden selbstorganisierte Gemeinschaftsgartenprojekte verstanden. Eine wichtige Wurzel liegt im Guerilla Gardening. Da gilt die Idee, das spontane Pflanzenaussaat als Akt des zivilen Ungehorsam das Stadtbild durchbrechen soll. Obwohl die Gartenbewegung an öffentlicher Akzeptanz gewinnt, hat sie ihre oppositionelle Bedeutung behalten. Einzelne Initiativen sind inzwischen untereinander vernetzt. Mit dem ‚Urban Gardening Manifest‘ existiert seit 2014 ein festes Programm mit Forderungen an Politik und Stadtverwaltung: https://urbangardeningmanifest.de/hintergrund.
Marco Clausen, Cordula Kropp, Athina Moroglou und weitere im Buch versammelte Verfasser*innen betonen ausdrücklich die Rolle der Gärten als Widerstand zur ökonomischen Stadtnutzung. So schreibt der Philosoph Harald Lemke in seinem Essay über das ‚Urban Gardening Manifest‘:
„Wer utopisch gärtnert, manifestiert durch diesen Aktivismus […] die politische Ethik und Alltagspraxis einer zivilgesellschaftlichen „Postdemokratie“ (Crouch, 2000), eine […] performative Politikwende hin zu einer Erd-Basis-Räte-Demokratie, um von unten nach oben zu regieren anstatt umgekehrt[.]“
Bottom up
Gemäß dem Motto „Global denken, lokal handeln“ setzen die Gartenprojekte an der Basis an und zielen auf einen weitreichenden Transformationsprozess. Das spiegeln auch die Inhalte der Aufsätze wider. Die Autor*innen berichten praxisnah von der Arbeit, von Chancen, Konflikten und der Zusammenarbeit mit Behörden. Sie stellen unterschiedliche Formen von Gemeinschaftsgärten vor, kommunale, nationale sowie internationale Gruppen. Andere Texte beleuchten die Gärten von einer wissenschaftlichen Seite und widmen sich etwa der Biodiversität in Stadtgärten. Auch die soziale Bedeutung der Projekte wird untersucht.
Intersektional
Wie sieht eine lebenswerte Zukunft aus? Das ökologische Umdenken spielt dabei nicht die einzige Rolle. Gärten können auf unterschiedliche Weise „Orte der Transformation“ sein. Das beweist etwa Ella van der Haide, die zu ihrem Film „Queer Gardening“ interviewt wird. In der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá unterstützen Gartengruppen Frauen dabei, sich aus Unterdrückungsverhältnissen zu befreien.
Viele Beiträge argumentieren aus ökofeministischer Perspektive für einen ganzheitlichen Wandel unseres Weltbildes. Philosophisch lehnen sie sich etwa an Donna Haraway an oder verfolgen einen praktischen Ansatz, wie die Gartengruppen in Bogotá, wo der Lebensmittelanbau Frauen zur Selbstständigkeit verhilft. Darüber hinaus ist die Umweltproblematik stark mit der kolonialen Verdrängung außereuropäischer Kulturen verknüpft, die mitunter traditionell eine andere Haltung zur Natur pflegten. Auch indigene Pflanzen, wie der Amaranth, wurden lange „unterdrückt“, weil sie zur einheimischen Lebensweise gehörten. Heute besteht dieses Problem fort. Wer unabhängig von Konzernen wie Monsanto oder Bayer das eigene Saatgut nutzt, macht sich strafbar. Nachhaltige Anbauweisen werden damit kriminalisiert.
Berechtigt erscheint darum der Widerstand der Gartenbewegung, die Forderungen nach Eigeninitiative und Unabhängigkeit von der kapitalistischen Lebensmittelproduktion. Auch in Deutschland erfüllen die Gärten soziale Aufgaben und bieten Inklusionschancen. Die Grünanlagen werten Viertel auf, verbessern die Gesundheit, geben Raum für Gemeinschaft und gemeinsame Arbeit.
Selbstkritisch
Trotz der kapitalismuskritischen Haltung bleibt die Kommerzialisierung ein Thema mit Spaltungspotential. Es ist lobend hervorzuheben, dass einige Beiträge auch über Konflikte berichten. Sollen Beete gegen Geld gemietet werden können? Will man sich einer Initiative anschließen, oder soll das Projekt unpolitisch bleiben? – Auch vom Scheitern einiger Gruppen ist in der Publikation zu lesen. Mal aufgrund interner, mal aufgrund externer Konflikte mit den rechtlichen Rahmenbedingungen. Denn viele Aktivist*innen sehen die inoffizielle Flächenaneignung weiterhin als wichtige Protestpraktik an und widersetzen sich einer Vereinnahmung oder Einebnung ihrer Projekte in Gestaltungskonzepte.
Stellenweise aber auch zu einseitig
Der Titel weckt in meinen Augen andere Erwartungen: Vorgestellt wird zwar ein Netzwerk spannender Einzelprojekte, doch ich vermisse ein Gesamtkonzept für die „Stadt der Zukunft“. Die Beiträge vermitteln zwar einen guten Überblick über einzelne Initiativen, insgesamt denken die Autor*innen jedoch zu wenig über das eigene gartenaktivistische Netzwerk hinaus. Das schlägt sich bereits in der Einführung nieder, der für Einsteiger eher ungeeignet ist. Im Kapitel „Auftakt“ hätte ich mir eine Erklärung gewünscht, was unter Urban Gardening verstanden werden kann. Die Verfasser*innen setzen voraus, dass der Begriff geläufig ist, und verspielen damit die Möglichkeit, auch Menschen außerhalb der eigenen Community zu erreichen. Dabei wäre es gerade für ein aktivistisches Anliegen wichtig, Skeptiker*innen zu überzeugen.
Strukturen, die in einer kleinen Gemeinschaft funktionieren, sind nicht unbedingt auf eine Gesellschaft übertragbar. Bereits in einer Stadt müssen erheblich mehr Interessen berücksichtigt werden, als in einem Garten. Wie soll in autofreien Städten die Anbindung ans Umland gewährleistet werden? Was ist mit mobilitätseingeschränkten Menschen, für die „Fuß und Rad“ keine Alternativen sind?
Die Perspektive beschränkt sich auf einen relativ homogenen ökologisch-sozialpolitischen Kreis, der zudem innenstadtnah wohnt. Die Praxisberichte bleiben zwar selbstkritisch im Hinblick auf die eigene Gruppe und verschiedenen Vorstellungen vom gemeinsamen Projekt. Eine Kritik an der Gartenbewegung an sich wird aber ausgeblendet. Dabei wäre es umso überzeugender, auch skeptische Stimmen aufzunehmen und auf deren Argumente einzugehen. Wie wollen Gartenaktivist*innen den raumplanerischen Schwierigkeiten begegnen, mit denen sie, dank ihrer oppositionellen Rolle, aktuell nicht konfrontiert sind? Beiträge mit gesamtpolitischer Stoßrichtung tendieren dazu, mehr Kritik an den Regierenden zu üben, als eigene Lösungen anzubieten. Wie stellen sich Gartenaktivist*innen eine Stadt vor, die sowohl ökologischen als auch funktionalen Ansprüchen gerecht wird?
Eine Lektüre zum Reinschnuppern
„Unterwegs in die Stadt der Zukunft“ ist eine ideale Lektüre für Leute, die darüber nachdenken, selbst im Urban Gardening tätig zu werden. Die im Buch versammelten Aufsätze sind von Akteur*innen der Gartenbewegung verfasst und zeugen von langjähriger Praxiserfahrung. Sie sind mit einem lesbaren ‚Tag der offenen Tür‘ vergleichbar. Initiativen in ganz Deutschland werden hier vorgestellt – und wer nach einer Anlaufstelle sucht, wird mit Sicherheit fündig. Ein weiterer Pluspunkt sind die beigefügten Fotos und Grafiken, die die Texte anschaulich ergänzen.
„Unterwegs in die Stadt der Zukunft – Urbane Gärten als Orte der Transformation“, herausgegeben von Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner. transcript-Verlag, 2024, 425 Seiten, ISBN: 978-3-8394-7163-0. Hier könnt ihr das Buch auf der Webseite anschauen und kostenfrei herunterladen.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.