Ich bin aufgewühlt, fahrig, tief berührt und in mir ist so viel, was gesagt werden will und der Frust, wie soll ich das in 1000 Zeichen für Social Media sagen. Selbst die 6.000 Zeichen, die mir für die Website erlaubt sind, erscheinen mir wie ein Witz. So schreibt Almut Petschauer von der Klimabuchmesse hier als Intro zu ihrer Rezension des Romans „Halbinsel“ von Kristine Bilkau, der beim Luchterhand Literaturverlag erschienen ist.
Die Heimkehr der Tochter stellt die Welt der Mutter auf den Kopf
Bilkau nimmt uns mit in den Kopf ihrer Hauptfigur, eine alleinerziehende Mutter. Ihre Tochter ist auf einer Konferenz zusammengebrochen, auf der sie Aufforstungsprojekte kritisch hinterfragen wollte, und zieht wieder bei ihrer Mutter ein. Die Tochter braucht eine Pause, eine Auszeit, ihr Glanz ist matt geworden. Die Mutter, immer den Erwartungen entsprechend zugewandt, ist aus ihrer Ruhe gebracht. Daraus webt die Autorin ein Reden, ein Aneinander-Vorbei-Reden, ein Zuhören, ein Verstehen, ein Missverstehen, ein Denken, was gerne gesagt werden möchte und was lieber nicht gesagt werden sollte und ein sich Entwickeln, Altes, Verschwiegenes wieder Hochholen, Ansehen aber auch Loslassen dürfen.
Es geht um den Traum vom Leben und was wir uns wünschen …
Bilkaus Schreiben, ihre Sprache, ihre Themen. Sie haben mich so tief berührt. Klar geht es auch ums Klima und das Sprechen, unsere Verzweiflung, die ihre Wirkung verlorene Sprache darüber, die Sprachlosigkeit und gleichzeitig das Zuhören, das sich Zeit nehmen, dass immer wieder neu fragen. Und dann geht es um das Mutter sein, Kinder großziehen, Verluste, allein sein, alles richtig machen wollen und doch wieder Vorwürfe und Selbstzweifel. Es geht über den Traum vom Leben, was wir uns wünschen, welche Erwartungen, die Gemeinheit der Welt, das über den Tisch gezogen werden, das sich klein und dumm fühlen …
Auch wenn Klima Thema ist, liegt die Klimakrise, und die damit verbundene Hoffnungs- und gefühlte Zukunftslosigkeit, wie eine Folie hinter allem. Die Krise verändert alles, sie nimmt uns den Halt, die vermeintliche Sicherheit, stellt Werte und Traditionen in Frage, das war doch immer schon so …
Und was ist mit der Sicht der jungen Generation?
In „Halbinsel“ geht es aber auch um die aktuellen Krisen, Krieg, Frieden, die eigene Position finden. Was heißt für junge Menschen heute Zukunft, wie positioniere ich mich zum Krieg und dazu, das eigene Land zu verteidigen. Kritik an Bilkaus Roman kam von einer 10 Jahre jüngeren Person. Wir sitzen auf meinem Balkon, wird sind beide begeistert vom Buch. Sie kritisiert jedoch die Einseitigkeit der Perspektive der Mutter und dass sie sich mehr Gedanken von der Tochter gewünscht hätte. Den Wunsch kann ich nachvollziehen. Ich glaube jedoch, das wäre ein anderes Buch. Ein wichtiges! Das unbedingt auch geschrieben werden sollte. Bitte genau so sensibel, einfühlsam und mitreißend!
Und über jedes dieser Themen könnte ich 6.000 Zeichen, die ich wichtig finde, schreiben, um Bilkaus feinfühlige und berührende Gedanken, ihre Wertschätzung und Achtung, die sie ihren Figuren im Verhandeln dieser Themen entgegen bringt, zu würdigen.
Eine Sprache voller Weisheit und Berührung
Wie soll ich nur ein Zitat auswählen. Ich habe so viele, hab so viele Sätze und Abschnitte angestrichen, anfangs noch ganz zart mit Ausrufezeichen versehen, um dieses Wort-Kunstwerk nicht zu verunstalten, und am Ende doch immer dicker und mit immer mehr Ausrufezeichen versehen.
Vielleicht:
„Beschützen oder Kontrolle. Ich hielt den Atem an, weil ich mich davor fürchtete, was sie als Nächstes sagen würde, und weil ich zugleich genau das hoffte, alles, was sie belastete und beschäftigte, endlich offen und ehrlich von ihr zu hören.“
Oder?
„Die Ungewissheit darüber, wie man das eigentlich machte, einen Menschen, den man geboren hatte, großzuziehen und auf diese Weise vorzubereiten, eine Welt, die so anders sein würde als jene, in der man selbst aufgewachsen war.“
Oder lieber doch das?
„Wie gestresst du warst, weil es mir nicht gut ging. Wie du das schon früher nicht aushalten konntest, wenn ich mal traurig oder erschöpft war. Das hat dich angestrengt. Das war ein ständiger Antrieb. Ein unterschwelliger Druck.“
Aber als Mutter berührt mich auch dieser Satz zutiefst:
„Ich wollte ihr so viel mitgeben, wie ich nur konnte. Aber da entsteht automatisch eine Kette. Aus Fürsorge erwächst Hoffnung, Hoffnungen verwandeln sich in Erwartungen.“
Ich will, dass wir es alle spüren
Ich fühle mich unzulänglich, ich möchte mehr Zeichen, um euch zu sagen, wie unbedingt ich mir wünsche, dass ganz, ganz viele Menschen dieses Buch lesen, es verschlingen, es spüren, es fühlen, es in sich einsinken lassen, darüber nachdenken sollten. Und es täte uns allen gut, wenn wir unser Reden, Denken, Fühlen und Handeln von ihm prägen lassen könnten.
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