Ich war von Theresa Hannigs Roman „Pantopia“ begeistert und darum sehr gespannt auf ihren neuen Roman, schreibt für die Klimabuchmesse unsere Rezensentin, die Autorin Anette Schaumlöffel: Ich wusste jedoch bereits, dass es alles andere als eine Utopie sein würde.
Aufwachen aus dem naiven Leben
Die anfangs naive Hauptfigur, die Autorin Johanna, lebt in einer nicht zu fernen Zukunft, in der die AfD an der Regierung ist. Die Staatsmacht geht mit Härte gegen die Klimabewegung vor und Johannas „kleines Leben“ verändert sich rasch. Als sie für ein neues Buch auf einem Klimacamp recherchiert, bringt ein altgedienter Klimaaktivist sie rasch auf den Stand, auf dem ich als Leserin bereits bin. Zunächst denkt sie noch, seine Zukunftszenarien seien übertrieben. Doch als sie erlebt, wie die Polizei ungeachtet der Friedfertigkeit der Demonstranten unnötig Gewalt anwendet, erwacht sie aus ihrem bisherigen Leben als gutgläubige Bürgerin.
Gewalt der Gegenseite aktiviert die Künstlerin
Die selbstverständliche Gewalt der Polizei leitet die ersten Schritte der Radikalisierung Johannas ein.
„Überall erschöpfte, abgerissene Gestalten. Die meisten schweigen, einige unterhalten sich nur flüsternd. Aber wenn ich ihnen in die Augen sehe, weiß ich, was in ihnen vorgeht. Wir erkennen uns, nicken uns zu. Ja, ich war auch dabei. Ja, ich kenne deinen Schmerz. Es ist noch nicht vorbei.“
Die Rückkehr Johannas in den Alltag einer erkalteten Ehe und als Mutter einer abgewandten Teenagerin bringt ihr auch keine Ruhe. Die Rolle der Künstlerin, die auf die Finanzierung durch ihren Mann angewiesen ist, wird ihr zunehmend zuwider. Da gibt ihr die Aussicht darauf, real mit einem Buch etwas verändern zu können, ein neues, aufregendes Ziel. Mit dem Auftrag ihres Lektors, ein Buch über die aktuelle Klimabewegung zu schreiben, reist sie nach Berlin.
„‘Immerhin schreiben sie über uns’, rufe ich noch lauter, aber er reagiert nicht. Ich will ihn beeindrucken, will, dass unser Plan aufgeht. Aber ich weiß, dass nur die Ergebnisse zählen. Nächstes Mal muss es besser werden!“
Zunächst verleiht ihr Projekt der müden, ausgepowerten Klimabewegung neuen Schwung. Doch gelingt es Johanna nicht, eine professionelle Distanz zu wahren, zu sehr identifiziert sie sich mit den Menschen, deren wahren Namen sie noch nicht einmal erfahren hat. Ímmer auf der Flucht vor Entdeckung sprechen die Klimaaktivisti einander mit Tarnnamen an. So kann niemand die anderen verraten, egal, wieviel Druck die Polizei ausübt.
Schließlich geht nicht nur Johanna den Schritt vom Phantasieren über Gewalt gegen üble Klimasünder zu aktuellen Plänen und schließlich zur Realisierung. Doch die Befriedigung darüber, dass die aufgestaute Frustration einen Kanal findet und Personen bestraft werden, die sich an der Zukunft der Menschheit vergangen haben, währt nicht lange. So wie Macht korrumpiert auch Gewalt und die erhoffte Verbesserung lässt immer noch auf sich warten.
Wohin führt Gewalt?
Theresa Hannig führt uns Leserinnen in eine Geschichte hinein, die erschreckend nahe liegt. Was wäre, wenn eine bislang ausnahmslos friedfertige Bewegung den zerstörerischen Kräften in Politik und Wirtschaft einen wirklichen Krieg erklären würde? Aus der Sicht von Johanna erleben wir die emotionalen Stadien mit, soweit wir sie nicht bereits selbst kennen. Buchautorin Theresa Hannig begibt sich mit uns auf eine schmerzhafte Reise, die sich zunächst anfühlt wie ein ersehnter Befreiungsschlag.
Die Zukunft ist schon da: Klimakrise in Meldungen
Fun Fact: Die Kapitel des Romans sind überschrieben mit Meldungen über katastrophale Ereignisse, die auf steigende Temperaturen und die Störung des Klimas zurückzuführen sind. Erst in der Mitte des Romans zeigt eine Datierung, dass diese Meldungen nicht in die Roman-Zeit in der Zukunft gehören, sondern reale Meldung aus 2023 und 2024 sind. Wir sind schon mitten drin in der beginnenden Katastrophe! Was können wir tun, da doch die Lebensweise der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht? – Diese Frage stellt uns die Autorin mit ihrem Buch „Parts per Million“, 2024 erschienen bei Fischer Tor.
In ihrem Nachwort rundet Theresa Hannig, die sich als Stadträtin der Grünen engagiert, ihr spannendes und verstörendes Buch ab. Wir müssen Wege finden, das Schlimmste zu verhindern, so ihr Fazit. Dabei ist es jedoch keineswegs egal, ob diese friedfertig sind oder nicht.
In der Leseprobe könnt ihr einenWeitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.