„Der Hoffnungsvogel“, der neue Kinderroman von Kirsten Boie, bietet rein auf den ersten Blick ein typisches Märchen-Setting: Das sind Prinz Jabu und seine Gefährtin Alva, die aufbrechen, um ihrem Land zu helfen; der König, der dem Retter seiner Tochter als Lohn ihre Hand und sein Königreich verspricht; wilde und brutale Räuber*innen, die nach Gold und Macht gieren. Der König residiert in einem prunkvollen Schloss und lässt sich von jeder Menge Personal hofieren, die Räuber*innen dagegen hausen in einer Höhle im dunklen Wald, die armen Bauernkinder sitzen vor schäbigen Hütten. So weit, so klassisch.
Der „Hoffnungsvogel“ ist im Februar diesen Jahres erschienen. Kirsten Boie liest im Rahmen der Klimabuchmesse am 29. April von 14:30 Uhr daraus. Hier stellen wir euch das Buch vor.
„Kaum hatte er einen unglücklichen Menschen entdeckt, da erhob sich der kleine Vogel in die Luft und sang ein Lied, und das war für jeden ein anderes und für jeden genau das richtige, um die Tränen zu trocknen und die Last auf den Schultern leichter zu machen.“
Ganz unklassische Figuren, die wunderbar die Erwartungen an sie nicht erfüllen
In dieses Märchen-Setting hinein legt Kirsten Boie eine Geschichte, die auf so wundervolle und zugleich einfache Weise immer wieder mit der Erwartungshaltung der Leser*innen bricht, dass es gerade für Erwachsene, die mit anderen Geschichten groß geworden sind, eine Riesenfreude ist, dieses Buch (vor) zu lesen. Der Prinz hat vor dem bevorstehenden Abenteuer nämlich ziemliche Angst und diskutiert zunächst mit seiner Mutter, der Guten Königin, ob das denn wirklich sein müsse. Die Prinzessin möchte keineswegs ihren Retter heiraten, sondern lieber abwarten, ob sie nicht vielleicht später noch einen netteren Mann trifft. Und Hilfe bekommen Alva und Jabu unter anderem von der Lastwagenfahrerin, die diesen Beruf parallel zur Betreuung ihrer zahlreichen Kinder ausübt.
„Und wenn man ein Mädchen aus den Händen einer Räuberbande befreien will, kann ein Kopf voller Einfälle manchmal mehr wert sein als ein Scheffel Gold oder meinetwegen sogar eine Kanone, das wirst du gleich erleben.“
Eine bunte Welt mit diversen Charakteren
Ohnehin macht gerade auch die Diversität, die die Charaktere kennzeichnet, das Buch zu einem echten Juwel. Zumindest im „Glücklichen Land“, aus dem Jabu und Alva stammen, scheinen Herkunft und Geschlecht keinen Einfluss auf die individuellen Lebenswege zu nehmen. Nicht zuletzt wird dies hervorgehoben durch die wunderbaren Zeichnungen von Katrin Engelkind, die die Vielfalt der Bevölkerung in zahlreichen Hautfarben und kulturellen Hintergründen zeigen.
Wichtigen Fragen in kraftvoller Sprache
Erzählt wird der Hoffnungsvogel in einer märchenhaften kraftvollen Sprache, in der die Leser*innen immer wieder direkt angesprochen und somit hautnah in das Geschehen hineingezogen werden. Und schließlich ist die ganze Geschichte – wie der Titel gebende Vogel vermuten lässt – natürlich ein Stück über Hoffnung, in dem viele der großen Themen unserer Zeit verhandelt werden: Mit welcher Haltung begegnen wir einander? Helfen wir in Notsituationen auch jenen, die uns fremd erscheinen oder überlassen wir sie ihrem Schicksal, wie es die Fischer*innen mit Alva und Jabu tun? Schaffen wir es, wie die Bürger*innen des Glücklichen Landes am Ende, zusammenzuarbeiten, für eine lebenswertere Zukunft? Können wir einander verzeihen, füreinander kämpfen, uns gegenseitig in unserer Individualität akzeptieren?
„Und Alva setzte sich einfach dazu und lauschte und schwieg; und beide hielten sie die Traurigkeit der Prinzessin aus und liefen nicht fort, wie Menschen es sonst oft tun, wenn sie den Kummer eines Menschen nicht ertragen können, das hast du vielleicht auch schon erlebt. Aber die beiden Kinder machten es nicht so.“
Neue Narrative, die zeigen, dass sich das Engagement für eine bessere Welt lohnt
Mit dem „Hoffnungsvogel“ schenkt uns Kirsten Boie neue Narrative über ein friedliches, einander zugewandtes und füreinander sorgendes Miteinander. Zugleich zeigt sie, dass wir eine solche Gesellschaft nicht als selbstverständlich hinnehmen dürfen, sondern uns alle dafür einsetzen müssen, sie zu erschaffen und zu erhalten. Was wirklich Hoffnung macht in diesem Roman, ist, dass die heranwachsende Generation immer wieder mit den Erwartungen und Lebensentwürfen der Älteren bricht und sich statt von Konsum und veralteten Werten von Freundschaft, Mut, Vertrauen und Güte leiten lässt. Wie tröstend, in Zeiten der mutiplen Krisen daran glauben zu können, dass eine solche Zukunft machbar ist.
Kirsten Boie, „Der Hoffnungsvogel“, ist 2023 beim Oetinger Verlag mit 224 Seiten erschienen. Hier findet ihr auch eine Leseprobe.
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