Ein lösungsorientiert geschriebenes Buch, findet unsere Rezensentin Anika Jahn, die „Klima-Kommunismus. Gleichheit in Zeiten der Erderwärmung“ für uns rezensiert hat.
Autor Miltiadis Oulios führt seine Leser*innen durch politisches und systemisches Nachdenken, und lässt Utopien zu. In seiner Feststellung, dass andere Lösungswege illusorisch sind, ist das Buch bedrückend radikal.
Ist Kommunismus-Aversion noch zeitgemäß?
Beim Anblick des grell-roten Buchcovers im Duett mit dem Titel „Klima-Kommunismus“ steigt intuitiv Ablehnung in mir auf. Plädieren wir jetzt für den Systemwechsel? Wünschen wir uns in eine Zeit zurück, in der Betriebe verstaatlicht wurden, Bürger*innen Schlange standen und sich über Westpakete freuten? Eine Zeit des Zentralismus, in der Andersdenkende störten und realistische Pläne Utopien waren.
Kommunismus ohne Ausweg?
Miltiadis Oulios ist Reporter und Autor und sich durchaus bewusst darüber, dass Menschen sehr Unterschiedliches mit Kommunismus verbinden. Doch er zeigt auf, warum es einen Klima-Kommunismus braucht, was er konkret bedeutet und welche alltagsrelevanten Maßnahmen denkbar wären. Er schreibt vehement gegen jede Beschönigung unserer Situation und gegen die – in seinen Augen – Illusion an, der Klimawandel ließe sich durch Innovationen und ohne politische Regulierung des klimaschädlichen Massenkonsums abwenden. Immer wieder macht er klar: Es geht um nicht weniger als das Überleben der Menschheit.
„Es ist illusorisch zu glauben, dass wir ohne politische Regulierung des klimaschädlichen Massenkonsums auch nur den Hauch einer Chance besäßen, in dem immer kleiner werdenden Zeitfenster (…)“
Kommunismus vs. Kapitalismus?
Der Klima-Kommunismus, erklärt Oulios, verspricht, durch die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln, eine am Prinzip der Gleichheit orientierte Verteilung der Güter. Im Gegensatz zum reinen Kommunismus sei Klima-Kommunismus ein Konsum-Kommunismus. Und so gehe es nicht darum, das gesamte System zu ändern und den Kapitalismus abzulösen. Denn wie eine funktionierende nicht-kapitalistische Wirtschaft aussehen könnte, sei unklar.
Kommunismus für mehr Gerechtigkeit
Wenn wir ernsthaft akzeptieren, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, müssen wir, nach Oulios, jedem Menschen dasselbe Anrecht auf die verbleibenden CO2-Emissionen zugestehen:
„Jedem ernst zu nehmenden Vorschlag für die Lösung der Klimakrise wohnt eine kommunistische Erkenntnis inne. (…) Nur wenn wir wirklich akzeptieren, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, ergibt es Sinn, den Menschen dasselbe Recht auf die verbleibenden CO2-Emissionen zuzugestehen.“
In unserer Lebenswirklichkeit jedoch kann jeder, der z. B. durch besondere Leistungen genug Geld hat, praktisch unbegrenzt CO2 in die Luft blasen.
Und hier gerät die kapitalistische Gesellschaft in eine existentielle Legitimationskrise: Es gibt schließlich keine Leistung, die Individuen oder soziale Gruppen zu überproportionalen CO2-Emmissionen, und damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage, berechtigen würde.
Jüngere Generationen werden noch krassere Einschränkungen hinnehmen müssen, wenn wir uns jetzt vor Klimaschutz-Maßnahmen drücken. Auch wird die benötigte Menge an Energie in absehbarer Zukunft nicht aus erneuerbaren Quellen zu schöpfen sein.
Davon ausgehend, sind kommunistische Ansätze, im Sinne einer „Kultur des Teilens“ unumgänglich.
„Wollen wir das Klima und damit uns wirklich retten? Dann sollten wir dafür eine neue Kultur des Teilens entwickeln. Der erste Schritt in diese Richtung besteht darin, es auszusprechen, dafür zu werben, auch darüber zu streiten und die Entwicklung einer solchen Kultur des Teilens in den Mittelpunkt unserer politischen Auseinandersetzung zu stellen.“
Während unser Zeitfenster für eine Linderung der Klimakrise dahinschmilzt, wird klimafreundliches Handeln aktuell sogar häufig benachteiligt. Oulios zählt auf: Die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr steigen im Vergleich zu PKW-Kosten mehr als doppelt so stark an. Ebenso ist es teurer, Bio-Produkte zu kaufen und infrastrukturbedingt gefährlicher, sich auf ein Fahrrad zu schwingen als im Auto zu sitzen.
An die gebotene Zurückhaltung der Privilegierten glaubt Oulios nicht mehr. Und auch nicht an die Entstehung einer „Haltung des Sich-selbst-Zurücknehmens“ oder einer Kultur der Liebe und des Zusammenhalts. Wir können „nicht darauf vertrauen, dass das freiwillig geschieht.“
Kommunismus konkret heißt Begrenzung?
Oulios durchdenkt mögliche und notwendige Begrenzungen des individuellen Konsums. Er weiß , dass dies an der Glaubensfestung einer liberalen Gesellschaft rüttelt.
Wie müssten die Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen verändert werden, um klimafreundliches Verhalten zu belohnen und zu steuern? Konkret: Wer darf wie viel fliegen, Fleisch essen, Kleidung kaufen. Wie könnten diese Lebensbereiche so ausgestaltet werden, dass es im Sinne eines gesunden Planeten und der Gerechtigkeit funktioniert?
„Sprechen wir offen aus, dass wir Zurückhaltung von jenen erwarten, die privilegierter sind als andere Menschen. Wir erwarten ein anderes Mindset. Eine Haltung des Sich-selbst-Zurücknehmens, ja, auch eine Kultur der Liebe und des Zusammenhalts in der Gesellschaft (…) Wir können aber nicht darauf vertrauen, dass das freiwillig geschieht.“
Selbstkritisch beschäftigt Oulios die Frage, ob wir einen Klima-Kommunismus brauchen, um – so seine drastischen Worte – die „Menschheit zu retten“. Zudem ließen sich nicht alle Bereiche durch sinnvolle, kommunistische Steuerung zügeln. Der globale Handel über Frachtschiffe kann, zum Beispiel, nicht sinnvoll begrenzt werden, denn Frachtschiffe transportieren vor allem Rohstoffe wie Getreide, Kohle, Eisenerz. Darauf lässt sich mit individuellem Handeln kaum Einfluss nehmen.
Die globale Sicht
Im zweiten Abschnitt des Buches zeigt der Autor, wie klimakommunistische Maßnahmen die Demokratie stärken können. Dazu setzt er sich damit auseinander, was es bedeutet, den Klimaschutz zu dekolonialisieren und somit post-koloniale Machtverhältnisse zu überwinden. Hierin steckt zudem das Potenzial, dass sich in Ländern des globalen Südens mit sehr viel weniger Geld mehr Treibhausgase einsparen ließen. Dabei ist besonders die überproportional auf den Klimawandel einwirkende weiße Oberschicht in der Verantwortung.
Leseempfehlung
Das Buch ist lösungsorientiert geschrieben, und gleichzeitig ein Utopien zulassendes politisches und systemisches Nachdenken. Oulios bezieht zahlreiche Quellen mit ein und nimmt Stellung zu Ereignissen des Zeitgeschehens, um damit kontinuierlich auf die klima-kommunistischen Grundideen hinzuarbeiten. Bedrückend radikal ist es in seiner Feststellung, dass andere Lösungswege illusorisch sind.
„Klima-Kommunismus : Gleichheit in Zeiten der Erderwärmung“ von Militiadis Oulios. Unrast Verlag, 2024, 204 Seiten. ISBN 978-3-89771-384-0
In der Leseprobe könnt ihr einen Blick ins Buch werfen.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.