Auf den ersten Blick erscheinen Computerspiele alles andere als grün. Im Gegenteil: Sie zählen zu den versteckten Umweltsündern, wie auch Michael A. Conrad im ersten Artikel dieses Sammelbandes bemerkt.
Gleichzeitig bergen sie als modernes Massenmedium das Potential, eine große Anzahl insbesondere junger Menschen zu erreichen.
Spiele dienen der Überprüfung und (Re)konstruktion von Realitäten. (Dominik Rinnhofer)
ScienceMashup ist als begleitendes Symposium zur 16. Langen Nacht der Computerspiele an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig entstanden und versammelt unter dem Motto Green Games Aufsätze, die sich mit Computerspielen und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Genau wie Bücher können auch Spiele ein Bewusstsein für Natur, Verantwortung und die eigene Lebensweise schaffen.
Alle Aufsätze überzeugen durch einen wissenschaftlichen Anspruch und eignen sich weniger als lockere Lektüre vor dem Schlafengehen. Wer sich allerdings intensiver für Gamestudies oder Umweltbildung interessiert, findet in diesem Sammelband vielfältige Anregung.
Während sich Michael Conrad mit dem grundsätzlichen Wesen des Spiels und der Frage befasst, warum es sich strukturell besonders gut zur Darstellung eines komplexen Ökosystems eignet, erkundet Dominik Rinnhofer Tier- und Pflanzensimulationen. Diese ermöglichen es Usern, in die Rolle fremder Lebewesen zu schlüpfen. Die menschliche Neigung, Tiere als Teil einer äußeren Umwelt wie Gegenstände zu objektivieren, wird hinterfragt, indem die Tiere zu spielbaren Charakteren werden. Dabei geht es um keine Vermenschlichung wie sie in Literatur und Film spätestens seit der Fabel gängig ist. Moderne Technologien wie „Tree-VR“ können das Leben eines Baumes plastisch erfahrbar machen. Sogar die Erde selbst kann in einigen Spielen verkörpert werden.
Allerdings hängt Aussagekraft nicht allein an der Technik, wie die ersten Pionierwerke didaktischer Computerspiele beweisen. Mit „Hunger in Afrika“ (1987) behandelt Benjamin Bigl ein sogenanntes „Lost Game“: ein Spiel, von dem keine Versionen mehr existieren. User werden in die Rolle eines Kleinbauern in der Sahelzone versetzt. Ziel ist die Überlebenssicherung der Familie. Es müssen Abwägungen getroffen werden zwischen etwa der Schulbildung eines Kindes und der fehlenden Arbeitskraft.
Das Spiel wurde ursprünglich für den Erdkundeunterricht entwickelt und ist darauf ausgelegt, Wissen über die Umweltbedingungen in der Sahelzone zu vermitteln. Es fördert darüber hinaus jedoch auch Empathie und verbindet ökologische mit sozialen Fragen.
Ein nur wenig jüngeres Beispiel ist „Balance of the Planet“ (1990) von Chris Crawfort, dessen Design bereits Nostalgie weckt. Das Thema ist hingegen aktueller als jemals zuvor. Es geht um das Überleben der Menschheit. Dafür verkörpern Spielende eine Weltregierung mit der Aufgabe, lebenswerte Bedingungen auf der Erde zu gewährleisten. Alle ausschlaggebenden Parameter wie Geburtenrate oder Flächennutzung müssen aufeinander abgestimmt werden.
Dominik Rinnhofer zufolge sei es in dem Spiel kaum möglich, das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation dauerhaft zu sichern, geschweige denn stabil zu halten.
Einen völlig anderen Fokus zeigt der Text im zweiten Teil des Sammelbandes von Gabriele Hooffacker und Johannes Tripps, der sich mit religiös allegorischen Spielen im Spätmittelalter befasst.
Tatsächlich wäre das auch mein Kritikpunkt an Green Games, das seinem Titel nicht ganz gerecht wird. Mit Spielen zur Umweltbildung befasst sich eigentlich nur der erste Teil, während der zweite sehr allgemein die Evolution des Computerspiels betrachtet. Zugegeben: Ein Blick ins Vorwort, hilft hier bei der Einordnung. Darin wird der Entstehungshintergrund des Sammelbandes ebenso erläutert wie die Methodik hinter der Auswahl.
Trotzdem ist der Titel Green Games irreführend, zumal bereits ein Artikel des ersten Abschnitts eher allgemein auf das Bildungspotential von Spielen, ohne Umweltbezug eingeht.
Qualitativ fallen diese Beiträge zwar nicht ab, sodass alle Personen mit grundsätzlichem Interesse am Medium Spiel mit der Lektüre keinen Fehler machen, trotzdem sollte man darauf vorbereitet sein.
Ich für meinen Teil habe Green Games nichts destotrotz gerne gelesen und konnte aus den Texten eine Menge mitnehmen. Allerdings sollten sich Leser*innen auf ein Fachbuch einstellen.
Eine Rezension von Artemis Wind
