„Unsere Welt ist mit einer Polykrise konfrontiert.“ (Club of Rome)

Der Club of Rome und das Wuppertal Institut legen mit „EarthForAll Deutschland“ einen besonderen Bericht vor. Sie beschäftigen sich darin mit den vielfältig miteinander verknüpften Krisen, die unsere heutige Welt in einen besorgniserregenden Zustand versetzt haben. Das Buch, erschienen im oekom Verlag, möchte wichtiges Orientierungswissen und konkrete Impulse vermitteln, um aufzuzeigen, welche „Transformationswege gestaltet werden können, um mögliche Konflikte zu reduzieren und Synergien zu erschließen“.

Diese Krisen, so der Club of Rome, erfordern dringend systemische Maßnahmen, um Lösungen für ein Miteinander von ökologischer Nachhaltigkeit und sozialem Wohlergehen zu ermöglichen.

„Eine radikale Umgestaltung unserer Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme ist dringend erforderlich.“ (Club of Rome)

Mit ihrem Buch wollen die Autor*innen ein Diskussionsangebot zur Verfügung stellen, welches „zur Weiterentwicklung und Vertiefung der Ansätze einlädt“. (Wuppertal Institut)

Keine Verbesserung ohne gesellschaftliche Transformation – doch diese braucht Mut

Ist es möglich, dass Politik und Zivilgesellschaft neue Allianzen knüpfen, um eine sozialökologische Transformation gegen den Lobbyismus von Reichtum und Macht durchzusetzen?

Dies ist eine Frage, die in EarthForAll erörtert wird. Der Club of Rome und das Wuppertal Institut als Herausgeberinnen sind sich einig: es wird viel Mut und Arbeit erfordern, damit eine gesellschaftliche Transformation gelingen kann. Doch es ist durchaus möglich, sie braucht nur eine mehrheitsfähige Akzeptanz.

Interessant in diesem Zusammenhang ist der positive Aspekt sozialer Kippmomente, die eine ermutigende Kraft haben können.

„Positive Zukunftsbilder so aufzubereiten, dass eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung und positive Narrative für sozialökologische Veränderungen daraus entstehen können, ist eine Motivation für dieses Buch.“

Soziale Kippmomente und ihre Hebel, um sie in Gang zu bringen

Fünf ausschlaggebende Hebel – je nach Arbeitsaufgabe auch Sektor oder Wende – identifizierten der Club of Rome und das Wuppertal Institut für ihre Diskussionsgrundlage:
1) Armut, 2) Ungleichheit, 3) Empowerment, 4) Ernährung und 5)Energie. Diese integrierten sie in das iSDG-Modell des Millenium Institute. Durch die Modellierung erfassten sie die Dynamiken innerhalb eines Sektors und zwischen den Sektoren, konnten deren innere Konsistenz überprüfen und die Zusammenhänge zwischen den Zielen besser verstehen.

Daraus ließen sie für das Buch zwei Szenarien errechnen, die sie in fünf Wenden näher vorstellen.
Das Szenario „To Little To Late“ steht dabei für zögerliche und unambitionierte Schritte in der Umwelt- und Sozialpolitik. Dagegen ist das Szenario „Giant Leap“, der große Wurf, der gute Weg zu einer Erde für Alle. In jeder Wende stellen sie diese zwei Szenarien gegeneinander und führen dadurch die Auswirkungen auf die Gesellschaft im Jahr 2045 lebensnah vor.

Das Ziel ist, das Verständnis für eine rasche Kehrtwende zu erhöhen, da sie hier eine große Dringlichkeit aufgrund der Folgen des Klimawandels sehen.

„Alle fünf Wenden beeinflussen sich gegenseitig und müssen daher gemeinsam und sofort erfolgen.“

Die fünf Wenden

Die Hebel verarbeiten die Autor*innen zu ineinandergreifenden Wenden, den Klimawandel für die Menschen gerecht und überlebbar zu gestalten. Ihre Ausführungen dazu sind sehr kenntnisreich und sie könnten den entscheidenden Politiker*innen und auch uns Gesellschaftsmitgliedern als Handbuch dienen. Ein Handbuch mit konkreten Vorschlägen, anzufangen. Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit.

Hier ein paar kurze Schlaglichter auf die fünf Wenden:

Die Armutswende

Bei den 17 Nachhaltigkeitszielen steht die Armutsbekämpfung ebenfalls an erster Stelle. Die Armutswende ist auch den Autor*innen von Earth for All immens wichtig. Reiche Länder, wie Deutschland, stehen dabei in besonderer Verantwortung. Und das nicht nur global, sondern auch national. Denn sie sehen die Gesellschaft in Deutschland durch die wachsende Ungleichheit nach rechts rücken, was weder gegen die Armut hilft, noch für eine Klimawende spricht.

„Schon heute werden die Armen hierzulande gegen die Armen andernorts ausgespielt und in Stellung gebracht.“

Die Ungleichheitswende

Die Verzahnung der Klimapolitik mit Ungleichheit und Armut wird auch an diesem möglichen Wendepunkt besonders offensichtlich, denn

„Die reichsten zehn Prozent der Menschheit verursachen 50 Prozent der klimaschädlichen Emissionen.“

Somit gilt, dass die Wohlhabenden sich an den notwendigen Investitionen angemessen beteiligen müssen. Denn in einer ökologisch orientierten Marktwirtschaft sollte es etwas kosten, Ressourcen zu verbrauchen und die Umwelt zu belasten. Ihr Appell: Klimapolitik wird nur erfolgreich sein, wenn sozial-flankierende Maßnahmen erfolgen und begonnen wird, den Wohlstand gerecht zu verteilen.

Die Empowermentwende

Selbstwirksamkeit für alle ist hier die Forderung, damit jede und jeder an der Gestaltung der Zukunft teilnehmen kann. Laut zitierter Studienlage herrscht in Deutschland weiterhin sehr stark die binäre Geschlechterperspektive vor. Frauen fehlen in Gesellschaftsstrukturen und Männer sitzen oft in Entscheidungspositionen. Das verhindert eine positive Entwicklung der Gesellschaft, da Frauen – laut Studien – mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen.

„Die Gleichstellung der Geschlechter ist keineswegs nur eine Frage von Fairness und Gerechtigkeit. Sie ist auch eine Frage der Vernunft, denn sie hat wichtige politische, soziale und kulturelle Dimensionen.“

Die Ernährungswende

Auch hier haben wir wieder einen weiten Komplex, zu dem die Autor*innen eine Vielzahl an Blickwinkeln und Beispielen anführen. So gehen sie auf die Planetary Health Diet ein, betrachten die Flächenverteilung für Nahrungsmittel und „Nutztier“haltung, die Verunreinigung von Grundwasser und Luft, und die falsch gesetzten Anreize bei Agrarsubventionen. Sie weisen darauf hin, dass bei dem Begriff Ernährung nicht immer mitgedacht wird: unsere Ernährung ist unser Leben, aber auch Treiber des Klimawandels und dabei wiederum stark davon betroffen.

„Ein gesunder Planet und gesunde Menschen hängen zusammen.“

Die Energiewende

Diese Wende scheint der entscheidende Punkt für das Aufhalten des Klimawandels. Doch wie wir mit den anderen vier Wenden gesehen haben, kann sie es allein nicht sein. Wobei dies ein Diskussionspunkt sein wird, dem sich die Autor*innen aussetzen müssen. Weshalb soll es für die Energiewende eine Armutswende brauchen? Ist nicht die Energiewende das Ausschlaggebende? Ihre Ausarbeitungen der Szenarien zwischen To Little To Late und Giant Leap unterstützen hier, sich eine Realität im Jahr 2045 vorstellen zu können.

Die Energiewende trifft uns alle durch einen tiefen und breiten Eingriff in unsere Lebenswirklichkeiten. Besonders in den Bereichen Verkehr, Wärme und Wohnen wird sie stark in unseren individuellen Alltag eingreifen, das müssen wir uns alle vor Augen führen. Jahrzehntelang aufgebaute Pfadabhängigkeiten müssen geändert werden, wobei Interessenskonflikte verstärkt auftreten werden. Hier siedeln die Autor*innen auch die Forderung nach positiven Narrativen an, nach mutigem politischen Handeln und sprechen sich eindeutig für die Vorfinanzierung der Zukunft bzw. der Transformation aus. Und sie rechnen vor, wie heutige Schulden höhere zukünftige Schulden verhindern können.

„Denn es geht bei der Energiewende um nichts anderes als um einen unausgesprochenen Generationenvertrag.“

Die Natur, Dienstleister für das menschliche Leben

Die Autor*innen appellieren an die politischen Entscheider*innen, die Unternehmen und alle Menschen, am Gelingen einer gerechten Energiewende und Klimapolitik mitzuwirken. Diese Aufforderung – besonders in Richtung Politik – wiederholen sie in allen Kapiteln. Zum Abschluss ihres Buches machen sie dabei nochmal sehr deutlich, dass „wir“, die Menschen es sind, um die es dabei geht.

„Ohne natürliche Ressourcen und die Dienstleistungen der Natur lässt sich kein menschliches Leben, keine moderne Wirtschaft, keine gesellschaftliche Aktivität denken.“

Eine Wucht von einem gut-lesbaren (tatsächlich meist) und (meist) positivem Buch. Darin sind eine hohe Menge an Fakten verarbeitet, aus denen Forderungen und Möglichkeiten zum Handeln abgeleitet werden, die für eine gute „Erde für Alle“ sorgen könnten.

Deshalb lesen und diskutieren und die Umsetzung wagen.

Die Autor*innen bitten zur Diskussion
auf unserer Veranstaltung „Den Club of Rome fragen … Wie schaffen wir eine klimagerechte Zukunft?“
am Samstag, 29.3.2025, 19 Uhr im Westbad, Leipzig.

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Club of Rome & Wuppertal Institut (Hrsg.): Earth for All Deutschland. Aufbruch in eine Zukunft für Alle.
oekom Verlag, 14.10.2024, 280 Seiten, ISBN 978-3-98726-111-4 (broschur)

Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.