Was würde passieren, wenn plötzlich eine Pandemie die Welt heimsucht, und die Welt da draußen zur Todesfalle wird? Eine Situation, die durch Covid-19 für viele Menschen weltweit zur erschreckenden Realität wurde, bildet das Ausgangsszenario von Mary Stormhouses Solarpunkroman Draußen (2023 im Selbstverlag erschienen, 2024 mit dem „Seraph“-Preis der Phantastischen Akademie für die beste Independent-Veröffentlichung ausgezeichnet). Doch im Gegensatz zur Covid-19 Pandemie lässt sich der „blaue Tod“ nicht in einigen Jahren unter Kontrolle bringen, denn die Entwicklung eines Impfstoffs gestaltet sich schwierig. So sieht sich die Menschheit gezwungen, auf eine andere Methode zurückzugreifen, um den eigenen Fortbestand zu sichern: Hermetisch abgeriegelte Wohnkomplexe, in denen erkrankte Menschen überleben können, während weiter nach einem Gegenmittel gesucht wird.
Willkommen in der Matrix
Um den Menschen, die auf kleinstem Raum in diesen Komplexen existieren müssen, das Leben erträglich zu machen, wurde dieses fast völlig in virtuelle Welten verlegt. Eine künstliche Intelligenz, DEA, deren Name bereits auf ihren gottgleichen Status verweist, kümmert sich um das körperliche Wohlergehen der Menschen. Es ist nicht klar, was die ersten Menschen über dieses neue Leben dachten, doch viele Generationen später erinnert sich niemand mehr daran, dass die Menschheit einst ein ganz anderes Leben außerhalb ihrer winzigen Kubikel und der grenzenlosen virtuellen Räume geführt hatten.
Ein unfreiwilliger Realitätscheck
Eine der Bewohner*innen ist Nalani, deren größte Sorge im Leben der soziale Aufstieg in der virtuellen Welt ist. Bis eines Tages plötzlich Caiden durch die Decke hindurch in ihrem Kubikel landet und sie unfreiwillig mit sich in die Welt außerhalb der Wohnkomplexe mitreißt. Eine Reise, die nicht nur gefährlich ist – DEA schickt den beiden tödliche Maschinen hinterher –, sondern auch äußert mühselig.
„Dieses Draußen schien Nalani äußerst ungeeignet für Menschen zu sein. Nahrung musste getötet oder gesammelt und anschließend auch noch gekaut werden. Niemand belohnte einen für Errungenschaften und wenn man Pech hatte, wurde man sogar mit Waffen bedroht oder nahm eine unfreiwillige Dusche. Hier herrschte absolutes Chaos, absolute Willkür.“
Die andere Seite
Schnell finden sich Caiden und Nalani außerdem in neuer Gesellschaft wieder. Denn wie sich herausstellt, gab es einige Menschen, die immun gegen die Krankheit gewesen waren, und so ihr Leben in der Außenwelt fortsetzen konnten. Mit deren Hilfe machen sich Nalani und Caiden auf die Suche nach einem alten Archiv, das Antworten auf all ihre Fragen liefern und ihnen helfen soll, die Menschen in den Komplexen zu befreien. Dabei lernen sie unter anderem, dass ihre Vorfahr*innen im Begriff gewesen waren, den Planeten und damit ihre eigene Existenzgrundlage völlig zu zerstören und dass der „blaue Tod“ eine Art Selbstschutzmechanismus der Natur gewesen war. Dieses eigentlich dystopisch anmutende Narrativ wird zum Schluss durch einen utopischen Moment aufgelöst, als es zur hoffnungsfrohen Umdeutung des paradiesischen Sündenfalls kommt.
Die ewige Entscheidung
In einer Konfrontation mit DEA und GAIA, erstere Herrscher*in über die Komplexe, letztere Hüter*in der Welt da draußen, wird Nalani nämlich vor eine ähnliche Wahl wie Eva gestellt und trifft schließlich die gleiche Entscheidung. Sie alleine muss darüber entscheiden, den metaphorischen Apfel der Erkenntnis am Baum hängen zu lassen, das heißt die Trennung von Drinnen und Draußen aufrecht zu erhalten, um den Menschen in den Komplexen ihre naive Unschuld zu bewahren, oder ihn vom Ast zu pflücken, das heißt die Trennung aufzuheben und den Menschen die Möglichkeit zu geben, zwischen beiden Welten hin und her zu wechseln, wobei sie dafür mit ihrer eigenen zerstörerischen Vergangenheit konfrontiert würden.
„Vielleicht würde alles von vorn beginnen. Sie würden vergessen, wie erfüllend es war, im Einklang mit der Natur zu leben und sich selbst und die Erde an den Rand der Zerstörung bringen. Oder die Menschheit hatte dieses Mal endgültig aus ihren Fehlern gelernt. Reif für eine bessere Welt.“
Ein Anlass zur Hoffnung
Dass Nalani sich dafür entscheidet, die beiden Welten miteinander zu verbinden und den Menschen die Möglichkeit zurückzugeben, ihr Leben selbst zu bestimmen, spricht für einen tiefen, säkularen Optimismus und den Glauben daran, dass die Menschen nicht von Grund auf schlecht sind. Es geht also um eine zweite Chance, um ein Vertrauen darauf, dass wir es immer noch besser machen können. Und als solches bildet das Buch einen erfrischenden Kontrast zu der Überfülle an dystopischen Erzählungen, die heutzutage den Großteil der zeitgenössischen Klimaliteratur ausmachen.
Wir freuen uns sehr darauf, dass Mary Stormhouse an unserem diesjährigen Utopie-Panel der Klimabuchmesse teilnimmt (Samstag, den 29.03. ab 21:00 Uhr im Westbad Leipzig)!