Klima, das erscheint uns heute als etwas von uns Getrenntes, etwas mit dem wir uns zwar arrangieren müssen – etwa durch Heizungen und Klimaanlagen –, letztlich aber eben etwas, das nichts direkt mit uns selbst zu tun hat.
Eine Umwelt, die nicht Teil von uns ist. Diese in westlichen Denktraditionen klar etablierte Trennung zwischen Mensch und Natur lässt sich laut Eva Horn bis an den Anfang des 18. Jahrhunderts zu Alexander von Humboldt zurückverfolgen, dessen Bestrebungen zur Verdatung klimatischer Bedingungen den Grundstein für die moderne Vermessung und Mathematisierung des Klimas gelegt haben – und damit auch für eine zunehmende Abstrahierung des Menschen von der ihn umgebenden Natur. Eben jenen Akt der Entfremdung sieht Eva Horn als großes Problem unserer Gegenwart und, wie sie feststellt, als sich im Angesicht der Klimakrise als unhaltbar entpuppenden Fehlschluss der Moderne. Ihr Buch versteht sich deshalb mit Blick darauf, „was Klima war“, als Versuch, eine Antwort darauf zu geben, „was Klima sein könnte.“ (29) Denn nur, so die zugrundeliegende These des Werkes, wenn wir wieder einen anderen Zugang zur Natur finden, wenn wir die Externalisierung des Klimas rückgängig machen, kann es uns gelingen, die zahlreichen Herausforderungen, die unter dem Begriff „Klimakrise“ zusammengefasst werden, nachhaltig zu bewältigen.
Der Mensch im Klima – von der antiken Elementenlehre zur thermischen Anthropologie
Um zu zeigen, dass die Selbstverortung des Menschen in der Welt nicht seit jeher durch eine Abgrenzung von der Natur bestimmt war, beginnt die Autorin mit einem Blick auf die Elementenlehre antiker Philosophen. Diese konstatiert die Zusammensetzung aller organischen und anorganischen Materie aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft. Auf diese Weise steht der Mensch in direktem Zusammenhang mit allem ihn Umgebenden und resoniert mit diesem, bzw. wird von diesem affiziert.
„So entsteht eine Vorstellung von Welt, von der sich der Mensch nicht ablösen und sie gleichsam von außen betrachten kann, sondern die ihn einschließt, umschließt und durchdringt.“ (53)
Daraus folgt die Notwendigkeit einer konkreten Auseinandersetzung mit der Atmosphäre, die bereits in der Antike zur Entwicklung einer thermischen Anthropologie führte, deren Grundannahmen bis ins frühe 20. Jahrhundert Bestand hatten. Diese besagen, dass lokale Klimata maßgeblich die Entwicklung von Kulturen prägen würden und sich Gesellschaften dementsprechend basierend auf den vorherrschenden klimatischen Bedingungen in unterschiedliche Kategorien unterteilen ließen. Dass eine solche Sichtweise nicht ohne eigene Fallstricke daherkommt, zeigt Eva Horn ausführlich an den rassistischen Theorien des imperialistischen Zeitalters, die auf einem aus der thermischen Anthropologie abgeleiteten Klimadeterminismus fußten, der das Konzept von „Zivilisation“ mit bestimmten Klimazonen verband. Doch der eigentliche Schwerpunkt ihres detaillierten historischen Abrisses liegt auf einer anderen, damit in Zusammenhang stehenden Komponente: der Aisthesis des Klimas. Mit anderen Worten: „[D]ie sinnlichen Empfänglich- und Empfindlichkeiten für die Zustände der Atmosphäre.“ (21) Diese wiederum finden Ausdruck in ästhetischen Darstellungen, anhand derer die Autorin einen Blick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Klima in der Antike, der frühen Neuzeit, der Zeit der Aufklärung, der Moderne und der Gegenwart wirft.
„Eine solche Wahrnehmungs-, Wissens- und Imaginationsgeschichte des Klimas ist kein Gegensatz, sondern Gegenstück und Ergänzung zur naturwissenschaftlichen Perspektive. Es geht darum, die kulturelle und sensorische Dimension von Klima wiederzufinden, die die Gegenwart weitgehend verloren hat.“ (16)
Die Klimakrise – eine alte, neue Realität
Eindrücklich schildert Eva Horn die schrittweise Abgrenzung des Menschen von der Natur im Laufe der Jahrtausende, die schließlich in der kapitalistischen Logik der Industrialisierung gipfelt: Natur als reine Ressource. Dieser Logik stellt sie am Schluss ihres Buches die Realität des Klimawandels gegenüber, der uns deutlich unseren Trugschluss vor Augen führt, indem er in Form sich häufender Katastrophen zeigt, dass der Mensch nicht außerhalb der Natur, sondern mitten in ihrsituiert ist. Dringend notwendig ist deshalb ein radikal neu gedachtes Verhältnis zur Natur. Mit Bezug auf Bruno Latour spricht Eva Horn in diesem Zusammenhang von „Luftverbundenheit“.
„Luftverbundenheit bedeutet Verbundenheit mit der Luft […]; es ist aber auch eine Verbundenheit in der Luft, ein Bewusstsein vom Klima als Grundlage des Sozialen.“ (497f.)
Luftverbundenheit stellt somit eine Kategorie der thermischen Anthropologie dar, insofern als sie unsere kulturelle Identität in direkten Bezug zum Klima setzt. Doch beinhaltet sie darüber hinaus auch andere Aspekte, etwa die Beziehung zwischen Körper und Luft, neue Konzepte von Raum und Zeit, sowie Überlegungen zu Klima und Gemeinschaft und ein Neudenken der Idee von Freiheit, die sich aus einer solchen In-Bezug-Setzung ergibt.
Fazit
Klima. Eine Wahrnehmungsgeschichte bedient sich eines wissenschaftlichen Duktus und ist deshalb, sowie aufgrund seines beachtlichen Umfangs, kaum als Nachtkästchenlektüre geeignet. Zum besseren Verständnis der Mensch-Klima-Beziehung unterschiedlicher Jahrhunderte diskutiert die Autorin diverse Gemälde, philosophische Traktate und literarische Werke in einer Ausführlichkeit, die wohl vor allem wissenschaftlich interessierte Leser:innen ansprechen dürfte. Doch dies ändert sich auf den letzten 100 Seiten, als die historischen Beobachtungen in der Gegenwart ankommen. Mit großer Aktualität schildert Eva Horn die Problematik des heutigen Umgangs mit Klima und zeigt Möglichkeiten auf, wie wir uns als Menschen selbst neu in der Welt situieren können bzw. wie ein Umdenken unserer eigenen Position auch zu einem anderen Umgang mit der Natur führen kann. Ohne je einem naiven Idealismus zu verfallen, wohnt dem utopischen Tonfall ihrer Schlussfolgerungen großes Hoffnungspotenzial inne.
In der Leseprobe könnt ihr einenWeitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.