Ingeborg Arvola beschreibt in Ihrem Buch „Der Aufbruch“ – dem ersten Roman der Eismeertrilogie – den Aufbruch von Brita, einer Kvenin, in ein neues selbstbestimmteres Leben. Die Kvenen – ursprünglich ein nomadisch lebendes finnisches Volk – leben in Norden heutigen Norwegens und haben sich mittlerweile dem kapitalistischen Lebensstil südfinnischer Kaufleute, verstärkt durch die strenge Moral der Kirche, immer mehr angepasst. Brita, die Hauptperson dieses Romans, hat zwei uneheliche Kinder und wird dafür in ihrem Heimatdorf mit öffentlicher Demütigung und einer Kirchenstrafe bestraft. Um dennoch ihren kleinen Traum zu verwirklichen – einen Mann heiraten, ein kleines Häuschen, ein Auskommen für sich und ihre Kinder – bricht sie im Jahr 1859 in ein anderes Dorf und ein neues Leben auf. Dort angekommen verliebt sie sich in Mikko, den Mann von Greta. Beide, Mikko und Greta sind tiefgläubig. Brita ist hingegen eher eine Heilerin in den Traditionen ihres Volkes, sie zeichnet sich durch eine sehr enge Verbindung zur Natur aus, die durch Mystik geprägt ist.
Brita selbst drückt ihre Haltung so aus:
„Dies ist meine Geschichte. Alles stammt von mir. Ihr alle. Wer wird in kommenden Generationen wütend werden? Was werdet ihr, genau wie die Generationen meiner Zeit nicht wahrhaben wollen? Über welche Seiten blättert ihr hinweg? Wer wendet sich ab? Drehst Du mir den Rücken zu? Spürst Du nicht, wie Du dein Haar hochhebst, wenn die Hitze kommt? Wie Du die Finger ausstreckst, die Strähnen aus dem Nacken streichst, sie hochziehst und weg vom Körper, um Luft an den Hals zu lassen.“
Was können wir für uns heute aus dem Roman mitnehmen? Vielleicht die Hartnäckigkeit, mit der Brita um ihre Zukunft kämpft und auch die Erinnerung daran, wie zerstörerisch die Gier einiger wirkt.
So beschreibt Ingeborg Arvola eindrücklich wie die südfinnischen Kaufleute gemeinsam mit der Kirche auch an dem neuen Ort die Fischer und kleinen Landbesitzer – meist Kvenen – um ihren Lohn betrügen und gleichzeitig strenge Moralvorschriften predigen, z.B. in der Einführung für das Jahr 1862:
„Ein Großteil der ersten Landbesitzer in Neiden verschuldete sich schließlich und musste zusehen, wie ihr Hof oder anderes Eigentum zwangsversteigert wurde. Ein Grund dafür war das Vorgehen der Kaufleute. (…) Kam ein Bauer also mit zwei Fässern Moltebeerengrütze und tauschte sie gegen eine Fischerleine, wurde die Leine aufgeschrieben, die Grütze jedoch nicht. So verloren viele den Überblick über ihre Schulden.“
Zwei Stränge des Romans haben mich besonders berührt. In der Zwickmühle zwischen ihrem Lebenstraum – einem Leben mit ihrer großen Liebe Mikko und mit ihren Söhnen und ein gutes Auskommen für sich und ihre Familie – und Furcht vor Sühne und Vergeltung der Kirche und Verachtung des Dorfes kämpft Brita hartnäckig für ihren Lebenstraum und für ihre Zukunft, auch gegen ihren heranwachsenden Sohn Aleksi, der eine erneute Kirchenstrafe und Schande für seine Familie fürchtet und „endlich ohne Schande“ leben möchte, die seine Mutter über ihn bringt.
Ingeborg Arvola, „Der Aufbruch“, btb, in deutscher Übersetzung von Katharina Martl, 2025, 416 Seiten, ISBN: 978-3-596-70640-2
Rezension von Eike Sievers
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