Rutger Bregman hat es satt, hält uns den Spiegel vor und zieht uns endlich vom Sofa runter. Mensch, das wurde ja auch Zeit. Gern gelesen für die Klimabuchmesse hat es unsere Rezensentin Almut Petschauer, die Rutger Bregmans starken Einsatz für eine gute Gesellschaft und eine lebenswerte Zukunft sehr schätzt.

Auf Leute! Lasst uns gemeinsam die Welt verändern!

Nicht weniger als das ist der Anspruch des Autors. Formuliert hat er diesen bereits im Vorwort in seinem – seiner Mutter gewidmeten – Buch „Moralische Ambitionen: Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt“ (Dezember 2024 erschienen im Rowohlt-Verlag). Er warnt uns sogar, dass wir es bereuen könnten, sein Buch zu lesen, denn

„wenn Sie die letzten Seiten umgeblättert haben, [werden wir nicht anders können und] selbst die Ärmel hochkrempeln müssen.“

Und damit wir die Ärmel nicht allein hochkrempeln müssen, hat Bregman zum Buch auch eine „School of Moral Ambition“ gegründet. In diese fließt der Erlös des Buches und mit dieser will er uns in unserem Tatendrang unterstützen. Mehr Infos dazu gibt es am Ende des Buches, wie auch auf https://www.moralambition.eu/de.

Seinem Prolog stellt Bregman ein Zitat des Schriftstellers Leo Rosten voran, dass für ihn beschreibt, worum es in seinem Buch gehen soll:

„I cannot believe that the purpose of life is to be ‚happy‘. I think the purpose of life is to be useful, to be responsible, to be honorable, to be compassionate. It is, above all, to matter: to count, to stand for something, to have it make some difference that you lived at all.“

Vom Historiker aus der Geschichte lernen: Am Beispiel der Abschaffung der Sklaverei – Achtung crazy!

Und es wäre nicht Rutger Bregman, wenn er uns nicht mit Hilfe seiner auf den Punkt gebrachten Analysen erklären würde, wie wir mit unserer Moralischen Ambition einen Unterschied durch unser Handeln machen würden. Ausführlich analysiert Bregman, wie das wahnwitzige Vorhaben, die Sklaverei abzuschaffen, am Ende des 19. Jahrhunderts begann und wie es schlussendlich gelingen konnte.

Ja, wir reden von der Sklaverei, die Jahrhunderte lang gottgegeben schien, das britische Königreich reich machte und die im 19. Jahrhundert auf dem Höhepunkt ihrer Rentabilität verboten wurde. Dies gelang durch den Einsatz von Thomas Clarkson, der auf das Thema nur gestoßen war, um bei einem Essay-Wettbewerb zu gewinnen und dann sein Leben der Abschaffung der Sklaverei widmete.

„In wohltönendem Latein kam Clarkson zu dem Schluss, dass die Sklaverei unvereinbar sei mit „Vernunft, Gerechtigkeit, Natur, den Grundsätzen von Recht und Regierung … und der geoffenbarten Stimme Gottes“.“
(Clarkson zitiert nach Rutger Bregman)

Clarkson traf damals auf eine kleine, von vielen verlachte Gruppe von „wunderlichen Käuzen“, den Quäkern, deren Mission die Gleichheit war, die sogar Frauen einschloss – radikal oder?

Mit Kalkül und gegen den eigenen Idealismus erreichen, was den Unterschied macht!

Doch so radikal sie waren, so durchdacht gingen sie vor: Die Forderung nach der Abschaffung der Sklaverei hätte keine Mehrheiten gefunden. Und so erklärt Bregman anhand der Abschaffung der Sklaverei, wie am Ende ein „Refraiming“, dass wir moralisch vermutlich sogar ablehnen würden, entscheidend war. Clarkson und seine Gefolgsleute konzentrierten sich in ihrer Kommunikationsstrategie nicht auf die Sklaven, sondern auf die britischen Seeleute, die auf den Sklavenschiffen unwürdigen Bedingungen ausgesetzt waren.

Wenn ein Seemann starb, profitierte der Kapitän davon, weil er sein Salär sparte. Wenn jedoch ein Sklave gestorben wäre, hätte der Kapitän Wert verloren, da er diesen ja noch verkaufen wollte. Knallhartes Kalkül führte zu der Erkenntnis, dass das Fenster der Möglichkeiten für eine Abschaffung der Sklaverei über ein „Refraiming“ funktionierte: über das Mitleid für die Täter.

Am Ende forderten die Abolisten (Abolitismus engl. für Abschaffung) ein Verbot der Verschiffung von Sklaven. Das war etwas, hinter das sich auch britische Politiker stellen konnten und Mehrheiten fanden. Da die Sterblichkeit auf den Plantagen sehr hoch war, war den Abolisten klar, dass der ausbleibende Nachschub bald Auswirkungen zeigen musste. Denn entweder blieben die Plantagenbesitzer ohne Sklaven zurück, oder es musste zumindest zu eine deutlichere Verbesserung von deren Lebensbedingungen zu Folge haben. Immerhin schon mal eine Verbesserung.

Ohne Zusammenschlüsse keine Veränderung

Dort, wo es den Abolisten gelang, durch Kompromisse Zusammenschlüsse mit anderen zu ermöglichen und somit Mehrheiten zu gewinnen, z.B. indem sie sich nach außen nicht so religiös gaben, dort konnten sie etwas bewegen. Wenn nicht, kam es auch zu keinen Veränderungen, wie Bregman am Beispiel der niederländischen Abolitismus-Bewegung aufzeigt.

Veränderungen im Möglichkeitsfenster schafft neue Realitäten

Ausführlich analysiert Bregman, wie es eben nicht die radikalen Forderungen sind, sondern die schmerzlichen Kompromisse, die am Ende zu radikalen Ergebnissen führen. Einfach, weil so, Stück für Stück, Veränderungen mit Hilfe der Politik und den zum jeweiligen Zeitpunkt im Rahmen des Möglichkeitsfensters Vorhandenen geschehen können.

Joseph Overton, amerikanischer Politologe, erklärt das so, dass die Ideen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Partys rumerzählt und akzeptiert werden, die sind, die durch das „Fenster“ passen, ohne als verrückt zu gelten. Wollen Politiker:innen wieder gewählt werden, müssen sie sich in diesem Rahmen bewegen. (Overton-Fenster) und wollen wir unsere moralischen Ambitionen erreichen, brauchen wir deren Unterstützung.

Es gibt noch so viel mehr Beispiele, um aus der Geschichte zu lernen

Weitere Beispiele aus der Geschichte der Moralischen Ambition sind etwa Ralph Nader und seine „Radical Nerds.“Mit akademischer Genauigkeit, Recherche und clever durchdachter Lobbyarbeit engagierten sie sich für eine bessere Welt hinter den Kulissen. Sie nahmen nach Schätzung verschiedener Historiker:innen Einfluss auf bis zu 25 Bundesgesetze. Allein der „Clean Air Act“ hat dabei Hunderte Millionen Lebensjahre gerettet.

Wenn mein Nachbar mitmacht, bin ich auch dabei!

Auch auf den Widerstand im Nationalsozialismus greift Bregman zurück. Nicht irgendwelche Held:innen schaffen das Gute sondern ganz normale Menschen werden zu Moralischen Ambitionisten. Es sind einfache Menschen in einem kleinen niederländischen Dorf, die unzähligen Juden und Jüdinnen retten, einfach, weil sie gefragt wurden und – nicht zu unterschätzen – weil die Nachbarn auch mitgemacht haben.

Die Außenwirkung ist entscheidend

Natürlich ist die amerikanische Bürgerrechtsbewegung in Bregmans Analysen auch dabei. Hier zeigt er das taktische Vorgehen, das genaue und zum Teil schmerzhafte Kalkül der Aktivistinnen, um die Kirche mit ihren Moralvorstellungen für ihre Sache zu gewinnen. Am Ende müssen Mehrheiten gewonnen sein, die genügend Druck ausüben können, um den Unterschied zu machen.

Menschen, die heute die Welt verändern und ein Hogwarts in Real Life

Rob Mather hatte einfach „aus versehen“ eine Doku geschaut, weil er den Aus-Knopf auf der Fernbedienung nicht gefunden hatte und heute führt er den erfolgreichsten Kampf gegen Malaria. Er hat damit bereits über 100.000 Menschen das Leben gerettet hat.

Auch begeistert hat mich das „Hogwarts für tugendhafte Menschen“. Dahinter verbirgt sich das „Charity Interpreneurship“, ein Kurs für moralisch ambitionierte Unternehmer:innen. Diese werden in einem 2-monatigen Aufenthalt in London fit gemacht, um eine Lücke im Wohltätigkeitssektor zu schließen. Dazu analysieren sie genau, wo ein zu wenig beachtetes Problemmit weitreichenden Folgen, das jedoch lösbar ist, auf Bearbeitung wartet. Ich habe ganz viele weitere bewegende Beispiele noch nicht aufgezählt …

… da hilft nur eins: Endlich das Buch selbst lesen!

Was wir brauchen, um endlich den Unterschied zu machen: HANDELN leicht gemacht

Bregman nutzt die Beispiele aus der Geschichte und dem Hier-und-Jetzt, um zu analysieren, was wir brauchen, um ins Handeln zu kommen. Unterfüttert mit klugen Analysen, ganz viel Daten und emotional packenden Geschichten und natürlich noch viel, viel mehr guten Gründen, machen für mich diese 3 Punkte den Kern des Buches aus:

1. Wir müssen nicht als Held:innen geboren werden:

Meist reicht es aus, dass uns jemensch fragt und wenn wir dann auch noch sehen, dass andere auch schon dabei sind, machen wir mit.

2. Es ist clever, die eigenen idealistischen Forderungen einem Realitätscheck zu unterziehen:

Stichwort Overton-Fenster, „Refraiming“ und Kompromisse eingehen, um Mehrheiten zu gewinnen.

3. Die Wirkmächtigkeit des eigenen Handelns kritisch hinterfragen:

Also den Faktencheck machen: Wie viel verbessert mein Handeln wirklich? Mit wem kann ich zusammenarbeiten und wann lohnt es sich, das Vorhaben als nicht gelungen abzubrechen und nach einer effektiveren Möglichkeit, die Welt zu verbessern, zu suchen?

Mein Fazit: Absolute Leseempfehlung – und dann auf zu Taten, liebe Demokraten!!!

PS: Wir von der Klimabuchmesse freuen uns auch immer über Unterstützung!

  • Ihr lest gern und viel und macht euch eure eigenen Gedanken, zum Gelesenen, dann kommt doch in unser Rezensionsteam.
  • Ihr habt tolle Ideen, welche Themen diskutiert werden müssen und ein Händchen fürs Organisieren für Veranstaltungen, dann kommt in unser Programm-Team.
  • Ihr habt ein Händchen fürs Organisieren von Gruppen, dann seit ihr heiß begehrt in unserem Orga-Team.
  • Ihr habt ein Händchen für Zahlen, Förderanträge oder Geld? Was müssen wir tun, um euch in unserem geliebten Finanzteam willkommen heißen zu dürfen?
  • Noch nix dabei: dann meldet euch trotzdem oder schnappt euch noch 4-7 Mitstreiter:innen und gründet euren eigenen „Moral Ambition Circle“.
„Moralische Ambition. Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt“ von Rutger Bregman, Rowohlt Buchverlag, 336 Seiten.
Hier geht es zur Leseprobe.
Weitere Klimabuch-Tipps findest du in unserer Klimabuchliste.